Montag, 19. März 2012

Am unsympathischsten auf der Messe waren mir die Leute an den Ständen der linken Buchverlage. Edition Ost und dergleichen. Kein einziger Mensch darunter, der auch nur für fünf Kopeken nach Revolutionär aussah, stattdessen glatte, satte Funktionärsgesichter, allerdings ohne Funktion.
Ich wunderte mich über mich selbst, wie ich so an den Ständen vorbeischlenderte, und plötzlich schnell weiter wollte. Früher hätte ich dort, so ist zu befürchten, Genossen gehabt. Zu der Zeit, als ich noch auf Demonstrationen, auf Straßenschlachten Barrikaden baute, wenn auch keine Steine warf; das Leben und die Unversehrtheit des Einzelnen, sei es auch ein Mann in Uniform, war mir selbst in meiner wildesten Zeit zu bedeutend. (Ich höre noch den Reim: „Zwischen Bullenhelm und Nasenbein, passt immer noch ein Pflasterstein“). Auch habe ich es, am Rand des Schwarzen Blocks, unterlassen „Nie wieder Deutschland“ zu schreien. Interessanterweise skandierten das meist diejenigen, die auch Israel anschwärzten und von der faschistischen Besatzung Palästinas faselten.

Mainzer Straße, Berlin 1990, kurz vor der Schlacht
Photo: Renate Hildebrandt

Ich sehe diese Reihe von linken Verlagen, in ihrer zufriedenen Saturiertheit, und ich muss an die Partei denken, in der mittlerweile die Antisemiten an Boden gewonnen haben, vereint unter dem Banner „Solidarität mit Palästina“. Und jene ostdeutschen Stalinisten, die ich damals kennen lernen durfte, die dem ABV hinterher trauerten und ihre Topfpflanzen in ausgelöffelte RAMA-Dosen stellten, die sind sicher auch noch nicht im Roten Himmel.
Mir schien das damals, 1995, schon obskur, aber ich war ja Mitglied in der Bezirksorganisation Kreuzberg (der erste Westbezirk, der über fünf Prozent kam), und dort hingen eben doch die Langhaarigen, die Revolutionäre und dergleichen rum. Jedenfalls solche, die ausschauten wie welche.
Als ich dann wegen der unaufgearbeiteten STASI-Verstrickung vieler Parteimitglieder austrat und anschließend in der Walpurgisnacht im Mauerpark (!) meinen Parteiausweis verbrannte, da wurde ich nicht mehr gegrüßt, von sicher der Hälfte der früheren Genossen.
Trotzdem habe ich mich immer als Linker gefühlt. Ich bin nur vom Syndikalismus über die Jahre in den Linkslibertärismus gerutscht. Ach, wenn ich zurückdenke: schwarzer Stern am Revers und jeden Tag eine Zeile Kropotkin oder Landauer. Pariser Commune, Spanische Republik, Räte in Baiern. Doch heute ist mir Mühsam als Bohemien näher. Und Landauer ebenfalls.
Das Problem mit dem Sozialismus jeglicher Couleur: man braucht Verwaltungseinheiten, und dort setzt sich dann Willkür und Korruption fest. Keine neue Erkenntnis.
Aber so wie es ist, so soll es auch nicht bleiben.

Es tut die Politik der Literatur nicht gut, wird sie von einem Dichter betrieben. Das musste ich hinter mir lassen, genauso wie die Malerei (die allerdings aus anderen Gründen).
Meine Güte, ich höre mich an wie ein Vierzigjähriger. Hoppla, tatsächlich, jetzt bin ich 41 Jahre alt und ohne Lebensunterhalt, stell eine Flasche kalt, und tue dem Reim Gewalt...
(Hat jemand das Zitat erkannt?)

Und was unterscheidet Melancholie von Ironie, wenn sie in meinem Kopf legieren?

In allen Messebeilagen der Journale werden Honeckers Notizen für seine Frau besprochen, im ND mit einem glühend historischen Blick, als wäre der Dachdecker nur abgetreten, und nicht auch der Staat, den er in den Abgrund trieb. In der ZEIT schreibt Maron eine konfuse Einlassung in Form eines persönlichen Berichts des Herrn H., die ich ausgesprochen unpassend und verniedlichend finde. Honeckers Geist: nicht zu fassen. Und mir kommt es merkwürdig vor, wie man sich überhaupt mit diesem fistelnden Wiesel des Sozialismus befassen kann, außerhalb der Geschichtsbücher. Das ist so weit entfernt. Glücklicherweise. Ich wäre sonst die letzten drei Tage im Garten gewesen und hätte mit meinem Sohn gespielt. Hinter der Mauer: die linken Verlage auf der Leipziger Messe.

Ich erinnere mich: wenn ich, der ich im Zonenrandbereich aufwuchs, mit meinem Vater an der Elbe war, nahe des Örtchens Bleckede, und wenn der Fluss Hochwasser hatte und über die Ufer trat, verbot mir mein Vater zu nah ans Wasser zu gehen, er sagte, es könnten Minen angeschwemmt worden sein, aus dem Osten. Oder wenn im Sommer dieser grünliche Schaum das Wasser hinab trieb, dann durfte ich nicht baden, denn das war, so sagten die Eltern, das Gift aus der CSSR (auch so ein Staatsname, den ich lange nicht mehr geschrieben habe).
Breschnews Augenbrauen am Abend im Fernseher. Oldtimer in Kuba. Hubschrauber über Kambodscha. Mehr war der Sozialismus für mich nicht, als ich ein Kind war. Die DDR war mir genauso weit entfernt wie Österreich. Nur Formen auf der Weltkugel, die neben dem Sofa meiner Großmutter in Hamburg stand.
Da gab es Rumpsteak mit Kräuterbutter und Geschichten über den Feuersturm in Hamburg, und darüber, wie mein Vater in den riesengroßen Reflektorenschüsseln der FLAG-Scheinwerfer über die Alster geschippert ist.

Deutsche Geschichte. Immer wieder schön.

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Jetzt blättere ich im Novitäten-Katalog des BOD-Dienstleisters. „Erlesene Köstlichkeiten“ – allein für das Wortspiel müsste man sie schlachten.
Eine erfrischende Lektüre, dieser Katalog (und für die Formulierung müsste man mich dann schlachten). Hunderte von seltsamen Büchern. Vanity Press. Und vielleicht ist auch ein interessantes darunter. Ich kann es nur leider nicht finden. Stattdessen: „Suche dein Glück, Martha – Die Tränen der Frauen salzen die Meere“ von Ina Borina. Oder: „Der Tod des Katzenläufers“ von Marc Dimmig. Oder: „Die Bärin Bärbel – und ihre Reise zu den Kuschlern“ von Peter Illing.
Ich kann ja verstehen, dass man an die Öffentlichkeit will, will ich ja auch, aber bitte nicht mir diesen Titeln.
Nur: ich hab gut Lachen. Hätte ich den gleichen Geltungsdrang gehabt und weniger Talent, wo wäre ich gelandet? Vermutlich dann doch beim handkopierten Privatdruck. Und ich hätte nicht einmal geringere Auflagen gehabt. (Schauder).  
Hunderte, nein, Tausende von Büchern, und ich habe noch nie eines auf dem Flohmarkt gesehen, oder in der Grabbelkiste des Trödlers an der Ecke. Diese Bücher fristen ein Dasein außerhalb jeglicher Wahrnehmung. All die Autoren müssen einen wohlwollenden Bekanntenkreis haben, der die geschenkten Exemplare niemals veräußert, oder sie haben eine dunkle Abstellkammer.
Und all diese Bücher sind mit ISBN-Nummern versehen. Müssten die dann nicht auch alle in der Nationalbibliothek in Frankfurt stehen? Mein Gott, bald wird denen dort nichts anderes übrig bleiben, als anzubauen.
BOD: 350.000 lieferbare Bestandstitel.

Und auch ich bin ein KUSCHLER.

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(Gestern die meisten Klicks seit Beginn dieses Blogs. Eine kleine Kontroverse auf Facebook und viele Photos, und schon schießen die Besucherzahlen nach oben).

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