Sonntag, 4. März 2012

(In der zweiten Stunde des Tages). Leider stößt man nicht zum Kern des Seins vor, wenn man betrunken ist. Und ich spreche nicht von: ein bisschen betrunken (dafür war allein schon E. verantwortlich, der mir gegenüber sitzend den ganzen Abend in einem Tempo Bierflaschen in sich hinein leerte, dass mir gar nichts anderes übrig blieb, als auch besoffen zu werden) . Aber für eines ist das Betrunken sein gut – alle Schichten von eingebildeten WILLEN fallen von einem ab, übrig bleibt nur noch ein Wesen, das zwar kaum noch tippen kann, das aber um so mehr ICH ist. (Nimm das, du Gehirnforscher). Es ist nur noch ein letzter Stummel von ICH da, aber dieser Stummel denkt für sich selbst.
Merkwürdig die Ansicht der zeitgenössischern Gehirnforscher, denn nichts als zeitgenössisch sind sie nur, merkwürdig kommen sie mir vor, in jeder Gehirnwindung, in der mein freier Wille hinterlegt ist. Sie stellen die falschen Fragen, diese Willensforscher, sie scheren sich nur um die letzten zehntausendsteln Sekunden zwischen Vorstellung und Handlung, und sie sagen dann („Sagen die Gelehreten“), dass ihre Messungen ergeben hätten, dass der neuronale Impuls der Handbewegung vor der willentlichen Entscheidung zur Handbewegung lag.
Schön, schön, das Gehirn-Gehirn hat entschieden, bevor das Gehirn-Ich davon wusste. (Aber welcher Gott, welcher Transmissionsriemen Gottes, oder welcher Transmissionsriemen ausserhalb der Geistesmaschine war es, der das Rad des Willens oder des Impulses bewegte?).

Kann ich nicht nur über die Willensfreiheit schreiben, indem ich meine Finger über die Tastatur huschen lasse, oder ist vielmehr mein ICH getrieben von den Ganglien, von den Botenstoffen in den Synapsen?
Gesetzt sei: Ich habe eine Zwangsneurose (nehmen wir das einfach einmal an), und diese Zwangsneurose zwingt mich zum Handeln. Ein klassisches Beispiel für einen unfreien Willen. – Wenn ich aber mich über das eigene MÜSSEN hinwegsetze, und zu einem WOLLEN komme (und das ist sehr gut möglich, wenn auch KRAFT dazu gehört), wenn ich also mit einem Teil von mir sage: Gott, ich müsste jetzt die Herdplatte überprüfen. – Aber wenn das, was ich ICH nennen würde entscheidet, ich verlasse die Wohnung, ohne in die Küche gegangen zu sein – wer spricht in mir dann? Könnte es jener Teil sein, der mit großer Mühe gegen diesen Zwang ankämpft, der also mit dieser Mühe, diesem Teil des ICHS, das altbekannte, das aus den tiefen des Unter- oder Überichs austräufelnde Ding, dass dieser Teil des Ichs erfolgreich ankämpft gegen etwas, was man Willenslosigkeit nennt... .. ?

Gehirnforscher: ihr müsst nachdenken, nicht nur Experimente machen, die von euren Gehirnen beeinflust werden (denn was seit ihr schon, außer ein menschgewordener Quanten-Zeno-Effekt...)
Gehirnforscher, wie könnt ihr über den Willen nachdenken, über das ich? Wie könnt ihr nur? Euer Gehirn ist viel zu klein, um ein Gehirn zu verstehen.
Sphärenklang: unbekannt.
Und von Gott gesprochen: vielleicht haben zum Beispiel die Epileptiker ein Tor in ihrem Bewußtsein, durch das Gott in den Menschen greift, um ihm ein Gefühl von ICH zu geben, vielleicht buchstabiert ein Zwangsneurotiker seine Persönlichkeit mit seinen Fingerkuppen auf die kalte Herdplatte, freien Willens, mit dem besten Blick auf die Wirklichkeit, die immer weiter fortschreitet, auch wenn die Uhr, ja, die Uhr, tickt.

Mein Sohn spielte am späten Vormittag mit Lego und dachte darüber nicht nach, war nur ein Junge, der mit Lego spielt, im Sonnenschein, der jetzt im anbrechenden Frühling schon früh in sein Zimmer fällt, ist ein Kind, das nicht nachdenkt, nur ICH ist, mit den Augen in die Welt schaut, wie er schon früh geschaut hat, der jetzt drei Jahre alt ist, der niemals weiter denkt, als bis zur nächsten Kinderüberraschung. Der aber doch nicht zum Supermarkt mitkommen will, der seine Kinderüberraschung gebracht haben will, der verharren will in der Unendlichkeit, in der Zeitlosigkeit seines ICHS. Im Sonnenschein des anbrechenden Frühlings.

ICH schreibe meinen Willen auf dieses Papier. Ich „Ich“. Will ich sein. Denke.



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