Freitag, 20. Dezember 2013

Anders stand es bei der Lyrik – sie war auch für Leihbüchereien kein attraktiver Geschäftsgegenstand, und es blieb den gesamten Zeitraum hindurch selbstverständlich, daß der Autor den Druck seiner Gedichte entweder gänzlich selbst bezahlte und dem Verleger gegen einen hohen Anteil am Erlös den Vertrieb überließ oder doch zumindest die Hälfte der Druckkosten bestritt. Dieses Verfahren brachte sehr geringe Auflagen mit sich, für die der Verfasser oft Absatzgarantien übernehmen mußte: etwa 250 – 500 Exemplare galten als üblich.

(Reinhard Wittmann über Lyrikproduktion im 19. Jahrhundert in „Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jahrhundert“, Tübingen 1982)


Die Schriftstellerei ist gegenwärtig kein Amt, sondern ein Geschäft, und die freie Concurrenz, das Gesetz der Natur, wie der ökonomische Liberalismus sie nennt, erzeugt überall hunderttausend Bettler als Staffage eines einzigen Millionärs.

(Joseph Lukas in „Die Presse“, 1867)


In der Meinung der „soliden“ Leute sowie der hohen Obrigkeit rangiert er zu den Vagabunden und muß es sich gefallen lassen, gelegentlich per Schub transportiert zu werden. Es ist so weit gekommen, daß die Bezeichnung „Literat“ von dem Begriffe der Geringschätzung, der Mißachtung unzertrennlich ist.

(Karl Weller in „Jahrbuch deutscher Dichtung“, 1858)


Wenn es einmal dazu kommt, daß die deutschen Proletarier mit der Bourgeoisie und den übrigen besitzenden Klassen die Bilanz abschließen, so werden sie es den Herren Literaten, dieser lumpigsten aller käuflichen Klassen, vermittelst der Laterne beweisen, inwiefern auch sie Proletarier sind.

(Friedrich Engels in „Die wahren Sozialisten“, 1847)


Flower power

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Freitag, 13. Dezember 2013

Das war ein legendärer Abend, letzte Woche in der Rumbalotte. Ruhm und Ehre gebührt den drei Dichtern Anderson, Falkner, Papenfuß, die, nach einem Viertel Jahrhundert,  zum ersten Mal wieder gemeinsam auf der Bühne standen. Und den Videofilm Kling Kopf Schwingen von einer ihrer Zusammenkünfte in den 80er Jahren zeigten. Recht avantgardistischer Streifen, bei dem man größtenteils Haaransätze und Schultersegmente der Dichter sah, und schlussendlich einen toten Fisch. Was mich etwas unbefriedigt zurückließ.
Doch die Gedichte im Film und auf der Bühne, die Gedichte von damals und heute waren natürlich toll & bemerkenswert.
Der Schankraum war voll und stickig, die Nacht war dunkel, dunkel, dunkel. Alle waren besoffen. Und ich war am nächsten Morgen verkatert wie seit einem viertel Jahrhundert nicht mehr. War eine raue Nacht gewesen.


Peter Geist

Gerhard Falkner, Sascha Anderson

Gerhard Falkner, Bert Papenfuß

Sascha Anderson

Papenfuß, Falkner, Anderson

Publikum

Bert Papenfuß, Sascha Anderson

Gerhard Falkner

Bildunterschrift hinzufügen

Sascha Anderson

Sebastian Kiefer

Michael Speier, Sascha Anderson
Jim Rakete

Björn Kuhligk, Peter Geist

Björn Kuhligk

Jörg Sundermeier, Krisitine Listau, Tom Schulz


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Und noch zwei Photos, die Björn am selben Abend aufgenommen hat. Man kann ihn gut im Spiegel erkennen, mit seinem pixelschwachen Smartphone.


Florian Voß, Sascha Anderson, Jörg Sundermeier

Florian Voß, Sascha Anderson

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Mittwoch, 20. November 2013

Ich hatte schon immer etwas für das Makabere übrig. Für die Zerstörung, die Verstörung.
Im Bücherregal meines Vaters gab es ein schmales Taschenbuch mit Zeichnungen von Roland Topor, bitterböse Skizzen von Männern in obskuren Nöten, die sich zum Beispiel das Gehirn kämmten, oder an ihren langgezogenen Ohren schaukelten. - Ich fand das schon als Achtjähriger amüsant.
Jahre zuvor hatte ich mit Matchbox-Autos Massenkarambolagen nachgestellt, mit dem ganz großen Hammer aus der Werkzeugkiste (die nach Maschinenöl roch), später ein Autodafé mit Playmobil-Figuren veranstaltet, der kleine Großinquisitor mit dem BIC-Feuerzeug der Mutti (das meist auf dem Wohnzimmertisch lag, neben dem Päckchen ERNTE 23, das damals noch weiß und gelb war, nicht orangenfarben - das haben dann in den Achtziger Jahren die Illuminaten erzwungen).
Die Kriegslücken in den Häuserzeilen, die verlassene Schlachterei gegenüber der Heiligen-Geist-Schule, grauer Regen, Hochmoore, verlassene Heide, Totengrund. Verwesende Tiere am Wegesrand, Dabei war ich so ein bezaubernder, weizenblonder Junge mit Häschenzähnen und engelsgleichem Lächeln. (Minestrant aber nicht; das war nicht möglich in unserer existenzialistischen Familie, die nur aus Satre, Piaf und Rollkragenpullovern bestand).
Und immer wieder dieser Band von Topor. Ein seltenes Buch, schwer zu bekommen in den späten Siebziger Jahren (heute zu kaufen für ein paar Cent bei booklooker oder amazon).
Ich habe mich heute Morgen an dieses Buch erinnert, als ich vom Kindergarten zurück nach Hause ging, unter grauem, regnerischem Himmel, und darüber nachdachte, welche Bücher ich auf das oberste Regalbrett stellen soll, damit mein fünfjähriger Sohn nicht rankommt.
Er ist so weizenblond, hat ein so engelsgleiches Lächeln. Verstörung.



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Montag, 9. September 2013

Einige Impressionen von einer bemerkenswerten Lesung mit Daniela Seel und Martin Piekar in der Z-Bar. Ins Besondere die Gespräche der Beiden über das vorgegebene Leben, das uns zum Beispiel IKEA unbietet, waren erhellend und kurzweilig.


Daniela Seel, Martin Piekar, Johannes Frank

 Daniela Seel, Martin Piekar 

Birgit Kreipe, Georg Leß

Johannes Frank

Dominik Ziller

Trautsch, Kreipe, Frank, Piekar, Kennel

Florian Voß

Donnerstag, 29. August 2013


Leeres Licht

Es twittern die Goten durch all
die Jahrhunderte unlesbares Zeug
Ein Thing, ein Ding ohne Sinn
Die Suren, Mansuben der Araber
ungelöste Rätsel in Schwarzweiß

Ein Wandelstern aus Dunst
besetzt von Bauern aus Fleisch
Der Rote Riese ist König
auf dem Brett des Alls
Hier gewinnt allzeit Schwarz

Es zwitschern die Vögel
im leeren, im blauen Raum
Kaum frei fliegen sie auf
Ein feiner Dunst aus Staub
leitet sie in das Aus

Immer noch kannst du sehen
blinden Flug der Tauben
Auguren findest du in Trauben
Post an Post im Netz
Sie angeln im leeren Licht


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Dienstag, 27. August 2013

Wolfgang Herrndorf ist tot.
Und mir stehen die Tränen in den Augen, was mir, bei einer mir fremden Person, noch nie passiert ist.
Aber ich habe ja die letzten Jahre seinen Blog gelesen, und dadurch ist er mir nahe gekommen. So jedenfalls kommt es mir vor.
Einmal habe ich ihn vor der Z-Bar gesehen. Dort saß er mit Freunden in der abgedimmten Nacht, als einziger nahezu schweigend. Ich hätte ihn gerne angesprochen, um ihm zu sagen, wie gut mir Sand gefallen hat, wie großartig ich seine Art zu Schreiben fand, aber ich wollte keinen sterbenden Mann von der Seite anstrudeln.

Was hätte dieser Autor noch schaffen können. Uns gehen vermutlich die fünf oder sechs besten Romane der 10er und 20er Jahre durch die Lappen.
Immerhin: Sand wird bleiben, da bin ich mir sicher, und natürlich auch Arbeit und Struktur.

Und jetzt gerade teilt Kathrin Passig auf Facebook mit, dass Wolfgang Herrndorf nicht an Krebs starb: "Er hat sich gestern in den späten Abendstunden am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen."

Immerhin ein selbstgewähltes Sterben. Ein letzter Sieg. (Aber es treibt mir noch mehr Tränen in die Augen).



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Montag, 26. August 2013

Die meisten Kritiker - die handvoll, die sich mit meiner Produktion bislang beschäftigte - halten mich ja für einen Günstling des expressionistischen Wandelsterns, und auch viele Kollegen waren der Meinung der Einfluss Gottfried Benns (zum Beispiel) wäre auf mich ein bedeutender gewesen.
Dabei hat mich die surrealistische Dichtung der Franzosen und Tschechen in meiner Jugend, also in einer Zeit, in der ich noch beeinflussbar war, viel mehr fasziniert (wenn ich auch schon mit acht Jahren die Dichtung Georg Trakls gelesen hatte, die mich düster umfasste und mich auf den Weg in die Verwesung schickte).
Kaum ein Gedicht hat sich mir in meinem bisherigen Leben so eingeprägt, wie einige Zeilen von Philippe Soupault:

Sonntag

Das Aeroplan spinnt die Telegraphendrähte
und die Quelle singt das gleiche Lied
Im Lokal der Kutscher ist der Aperitif orangen
doch die Augen der Eisenbahner sind weiß
die Dame hat ihr Lächeln im Wald verloren

 Ich fand das Gedicht in der (zumindest seinerzeit) legendären Anthologie "Das Surrealistische Gedicht", die 1985 bei dem Versandhändler Zweitausendeins publiziert wurde, und die ich mir von meinen Eltern Weihnachten 1986 schenken ließ. Dort las ich auch zum ersten Mal Antonin Artaud, dessen Pathos mich fast ins Taumeln brachte. Und Eluards traumdurchsponnenen Oden an Pariser Vormittage und dergleichen.
Das waren die Sachen, die meinem Schreiben eine Richtung gaben (nachdem es zuvor eher der amerikanische Beat gewesen war, Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti und Ed Sanders), das sitzt mir bis heute im Mark und beeinflusst meine Art, die Realität wahrzunehmen.
Den Expressionismus hingegen musste ich nicht lernen, der saß mir von Geburt... ach, was, von der Zeugung an in den Zellen.


Das Surrealistische Gedicht
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Mittwoch, 14. August 2013

Also gut, ich muss es zugeben, ich habe eine Schreibkrise.
Anstatt zumindest Gedichte zu überarbeiten, saß ich am Morgen am Wohnzimmertisch und schrieb einen Wikipedia-Artikel. Über mich.
Schon 2009 hatte irgendwer einen Eintrag über meine Wenigkeit verfasst, aber der wurde umgehend gelöscht. Auf der Diskussionsebene der Plattform hieß es, ich sei ohne ersichtliche Relevanz. Es war ein Hauen und Stechen zwischen den anwesenden Mitgliedern der Wikipedia. Doch die Fraktion, die meinte, ich sei doch durch diverse Buchveröffentlichungen ausreichend ausgezeichnet für einen Eintrag, war nicht zahlreich genug. Und dem Mann, der das gewichtigste Wort führte, war nicht beizubringen, dass die Lyrikedition 2000 kein Zuzahlverlag sei. Er bestand darauf, dass Verlage die Print on Demand betreiben per se Geld von ihren Autoren kassieren würden. Was natürlich nicht den Tatsachen entspricht. Ich versuchte ihm das zu verklickern, aber er war uneinsichtig. Ich sei nicht relevant, als Schriftsteller. Also gab ich klein bei und googelte ein paar Tage später erneut meinen Namen: kein Wikipedia-Eintrag mehr. Schade.

Heute habe ich dann aus Langeweile ein paar Änderungen in verschiedenen Artikeln anderer Dichter vorgenommen. Und weil mir so langweilig war, und weil es mich noch immer ein wenig fuchste, dass ich dort nicht vorkam, und weil mittlerweile auch für den kritischsten Administrator die Relevanzkriterien erfüllt sein sollten, bastelte ich einen Eintrag zusammen und stellte ihn online. Er steht jetzt, um 23 Uhr, noch immer dort, obwohl er schon kontrolliert wurde. Und kein Löschantrag ist verzeichnet.

Der Artikel steht also noch immer da. Und ich freue mich. Ich weiß nicht genau warum, denn ich habe ihn ja selbst geschrieben, also ist er keine besondere Auszeichnung, aber wenn ich die Seite so betrachte, fühle ich mich plötzlich wichtiger als gestern.

Wenn man als Dichter keinen großen Erfolg hat, nimmt die Jagd nach dem Ruhm seltsame Wege. Immerhin konnte ich mich letzten Monat unterstehen, auf einen Brief des deutschen Who is Who zu antworten, in dem man mir einen Lexikon-Artikel zum Sonderpreis von 79 Euro anbot (oder war es noch teurer?).

Die einzige Frage, die mich jetzt noch umtreibt ist: soll ich eine Photographie einpflegen (und muss ich die Photographie vorher streicheln, um sie zu pflegen)? Und wenn ich das mache, soll sie in Sepia sein, oder eher mit dem verhaltenen Silberstich einer Daguerreotypie? Photoshop? Picassa? Verkubisiert von Picasso? - Ich könnte natürlich auch (mehr) Falten unter die Augen einfügen, dann brächte ich nicht gleich im nächsten Jahr den Eintrag zu aktualisieren.
Vielleicht sollte ich mir zudem eine schönere Herkunft zulegen: Sohn des Schwippschwagers des Kaisers von Äthiopien. Studierte altsteinzeitliche Kulte an der Kaldcisc-Universität in Botwarisc. Nahm an der Expedition zur Nilquelle im Jahr 1988 teil. (Seitdem teilweise verschollen). Voß gilt als einer der maßgeblichen Experten in der Bestimmung von Königsstäben der Larifari-Kultur (dazu veröffentlichte er auch das Standardwerk "Majestäten und ihre Taten im Land der Larifari", Heidelberg und Malzahn 1994).
In den Jahren 2001 und 2002 befand sich der Autor auf Astralreise zwischen Nirwana und Hohenschönhausen. Im Anschluss organisierte er das weithin besprochene Treffen Niederer Dämonen in der Literaturwerkstatt Berlin. Dort kam es zu einem Eklat, nachdem Voß einen bekannten Dichter des Saales verwiesen hatte, weil dieser (unangekündigt) ein Gedicht über der Engel Ordnung verlesen wollte.
Voß lebt heute zusammen mit seiner Frau, seinen fünf Sohnen und diversen Murmeltieren auf einem Einödhof in der märkischen Schweiz. (Seine Korrespondenz mit Botho Strauß erscheint 2014 im Verlag der Zwei Sterne).


Subalterner Stammeshäuptling der Larifari


Ach ja, die Änderungen in den anderen Artikeln: Ann Cotten hat jetzt eine Ausbildung als Tierkonservatorin, Hendrik Jacksons Großvater war ein Weltraumforscher und Björn Kuhligk ist in München geboren worden.

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Freitag, 9. August 2013

Ich habe einen Streifen mit Tabletten in der Hemdtasche meines gelben Hemdes, der knistert wenn ich beim Lesen die Seiten umschlage.
Das Hemd habe ich am frühen Abend angezogen, weil mir ein Vogel auf mein hellgraues Lieblingshemd geschissen hatte, als ich (zusammen mit meiner Frau) meinen Sohn vom Spielplatz abholte.
Dort hatte er mit Freunden ein Blumenbeet angelegt, im Sandkasten, aus abgerupften Blättern. Mit einem krummen Stock hatte er auch Unkraut freigelegt und zum Sandkasten getragen: ein Blumenbeet aus Blättern und Stengeln.
Die Tabletten in dem knisternden Verpackungsstreifen sind für meinen nervösen Magen, der den Wein weniger und weniger verträgt mit den Jahren (genau wie es bei meinem Vater war, dem der Alkohol letzlich die Leber zerfraß und ihm einen unschönen Tod bereitete – aber was ist schon schön am Sterben?). Aber mein Kopf verträgt ihn noch gut – versehentlich wollte ich schreiben: mein Tod verträgt ihn noch gut – am Abend. Am nächsten Morgen jedoch sind die Nerven porös, und ein rote Flut von Zorn schwappt durch mein Ich (wie ich es gemeinhin nenne, der Einfachheit halber), das sich aufteilt zwischen Gehirn und diesem Nervenknoten neben dem Magen, der zwar nicht denken aber hassen kann.
Man darf mir dann nicht zu nahe kommen, denn ich bin ein böses Tier. Doch weil ich noch immer aussehe wie ein bleicher Mittvierziger, und nicht wie ein böses Tier, und weil kein Gitter ist zwischen mir und der Welt (obwohl das hilfreich wäre), kommen die Leute heran und sprechen mit mir. Sie halten mir Stöckchen hin und Blätter, aber mein Magen ist zu nervös, um das zu essen.
Und ich schaue sie an, die Besucher, und knurre laut.
Ich fresse meine Magentabletten und bin voller Missgunst gegen die Welt. Aber die Besucher, sie wollen einfach nicht verschwinden.

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Es gefällt mir in den letzten Jahren immer besser, in der Wohnung zu sitzen, an einem Tisch am Fenster, und herauszuschauen in den Vormittag. Ich brauche das Außen nicht, ich muss nicht in den Sommer hinaus gehen, ich sehe es ja von innen. Ich lege bald meine fetten, bleichen Unterarme auf die Fensterbank (ein gehäkeltes Kissen darunter) und grüße die Nachbarn mit einem unverständlichen Brummeln.
Gegenüber steht ein sozialer Wohnblock aus den späten 20ern, Hausfassaden, wie ich sie aus meiner Kindheit kenne, mit Schatten getüncht, mit fremden Menschen bepackt. Ich habe kein großes Interesse an diesen Menschen. Es sind nur Menschen. Sie werden sterben, auf kurz oder lang. Warum sollte ich Interesse entwickeln. Ich bin ein unsterblicher Rentner am Nachmittag (oder am Vormittag), mich tangiert das nicht mehr.



Mir wird es gut gefallen im Altersheim. Ich möchte ein helles Zimmer haben, das soll leer sein. Nur ein Bett soll drin stehen, und ein kleiner Schreibtisch mit einem Stuhl. Keine Bücher werden dort sein, keine Bilder, kein Kram. Ein eBook-Reader und ein Notizbuch werden mir genügen. Etwas Musik vielleicht, von einem MP3-Player (in erster Linie Bach und Purcell). Kräutertee und Schokolade. Ein Blick in die Sonne. Platanen vor den Fenstern. Ab und an eine Notiz. Und auf der Straße des Nachts der eine oder andere Verehrer, der meine Gedichte mit heißerer Stimme intoniert.


Ich habe einmal den Kommunarden Langhans in einer TV-Sendung gesehen. Er saß in seinem Zimmer, und in diesem weißen Zimmer gab es nichts, außer einer Matratze, einer Handvoll Bücher und einem Laptop. Das reicht, mehr braucht es nicht. Da will ich hin.
(Ich muss gleich morgen 2000 Bücher verschenken).

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Freitag, 2. August 2013

Ich denke in den letzten Tagen wieder viel über Photographie nach. Wie kann man die Nacht abbilden? Wie kann man von dort aus in die Abstraktion gleiten? Ist es dann noch als Photographie zu erkennen, oder wirkt es wie Computergrafik? Bleibt es reines Kunstgewerbe?
Andererseits kann man in keinem Medium fein strukturierte Oberflächen so gut darstellen, es lassen sich Effekte erzielen, von denen Mark Tobey nur geträumt hätte, kein Bild kann so gut das Rieseln eines Fiebertraums darstellen, das Leuchten einer Opiumnacht:










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Dienstag, 30. Juli 2013

Unruhige Nächte. Als wäre der Tod nur eine Gewitterwolke, durch die man hindurch fliegen kann.
Das Auge trinkt Dunkelheit und nimmt Fahrt auf. Atmende Stille vor den Fenstern. Die Jalousien auf Halbmast. Kann man den Traum an langen, grauen Leinen aus sich herausziehen? Ihn als zuckendes Ektoplasma auf den Boden werfen, vor das verflüssigte Bett? Ein Glimmen in der Schwärze, Lichtpunkte, Regen, oder doch nur Wind in den schwarzen, herabhängenden Folien der Nacht, zwischen die kein Taganbruch mehr passt. Diesseits des Ereignishorizonts.




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Sonntag, 28. Juli 2013

Elektronenhirn II

Palm m505, du kammst zu mir geflogen mit anklickbarer Tastatur. Du hast ein Farbdisplay und ganze 8 Megabyte RAM. Du bist ein Herkules, du bist zehn Jahre jünger als Psion 3, der mit seinen 512 Kilobyte mühsam und verschlafen denkt. Psalm, du wirst mir die Dioden in den Äuglein leuchten lassen. Blink, blink.
Epson HX-20, dich rufe ich, mit allen acht Winden, die seit der Antike um meinen Kopf wehen. Du bist die Keilschrifttafel der Notebook-Ära. Psion MC 400, dich rufe ich, mir zu gefallen, und mir deinen Schwarzweiß-Bildschirm zu zeigen: 32 Graustufen, 32 shades of grey, sind dir zu eigen. Und zwischen Keyboard und Display enthüllt sich das allererste Trackpad. Wer braucht da noch eine IBM-Maus, wer kann noch Apple ernstnehmen?




Ich erinnere mich: vor meiner Geburt gab es schon Pong und Spacewar! Es flog im MIT ein Raumschiff über einen runden Bildschirm. Es verlor schon ein Professor gegen das erste starke Schachprogramm MacHack, kurz bevor es endlich Richtung Mond ging. Der erste Mensch der dümmer war, als ein simpler Algorhythmus. Oh, Plankalkül des Konrad Zuse, du hast uns die Misere eingebrockt, der Mensch ist kleiner noch als eine zusammengelötete Platine.




Nullen und Einsen, ich erinnere mich, nahmen wir durch, gleich nach dem Einmaleins. In der 5. Klasse, 1980, versuchte uns ein Mathematiklehrer (sein Name ist im Datenfriedhof versickert) die Strukturen zu vermitteln, den binären Code. Er hatte sicherlich noch nie in seinem Leben die Finger auf das Keyboard eines Sinclair ZX 81 gelegt. Er sah nach Adler-Schreibmaschine aus.

Oh, großer Sony Vaio, ich starre jede Nacht auf deinen goldgefüllten Bildschirm. Deine 2 Gigabyte RAM schleudern mich in gänzlich fremde Welten (wir schreiben das Jahr 2013...). In Foren wirbelst du mich, die seit der Antike unbetreten sind. In den dunklen Schlund von allMystery.

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Samstag, 27. Juli 2013

Elektronenhirn I

Was hätte ich gegeben für einen Sinclair ZX 81, für einen Commodore 64 oder einen Atari mit zehn Kassetten. Doch nicht mal eine Schreibmaschine tackerte ihren Code von Anschlag und Stille in unserer winzig kleinen Wohnung in einem 500 Jahre alten Haus.

Ich drücke mein Ohr an den Sony Vaio VGN und lausche nach dem Klicken der Insektenbeine auf dem Weg von Null zu Eins. Diese Marke hat einen wohlgeformten Klang, seit ich mir in später Kindheit die Earphones eines Walkman TPS-L2 über den Schädel stülpte.

Die Bruderschaft von Psion war unerreichbar, die Mitgliedschaft war viel zu kostspielig. Die frühen Multi-Tasking-Fenster kannte ich nur aus den Schaufenstern von Hertie. Ebenso diesen einen Schachcomputer, silbern, mit dem Greifarm eines Roboters. Er konnte schneller denken als mein Vater, er konnte schneller ziehen als meine Mutter. Er war so ganz und gar nur Null und Eins.




Bei Joe Enderlein gab es Telespiele, drei Konsolen auf dem Altar vor dem Fernsehgerät. Wir steuerten das Raumschiff Zaxxon von Colecovision, hangelten über die tiefen Gruben von Intellivisions Pitfall, versorgten E.T. mit kleinen Keksen, grobgepixelten Atari-Keksen. Und tranken Blue Curacao. Und blätterten in Playboy-Heften, oder klappten mit stillen Gesichtern die Folder in der Penthouse auf.




Die Datenkassette rotierte in der Datasette, und zehn Minuten später war das Turbo-Tape durchgelaufen und der C64 bereit für ein Programm, das dann nur noch eine viertel Stunde laden würde.
Schließlich auf dem Bildschirm: Pacman. Wer hätte je geahnt, dass man dieses Mondgesicht noch dreißig Jahre später sehen würde, in staubigen Reklamen für ein mäßig spaßiges Altersheim?

Als ich noch ein kleines Kind war, hatte mein Großvater einen riesenhaft großen IBM unter einem Staubfang stehen; in seinem Arbeitszimmer ruhte die Kiste ohne Bildschirm und ohne eine Regung. Und niemals dürfte ich sie berühren. Ebensowenig die Canon-Schreibmaschine, die einen Ein-Zeilen-Display hatte und eine Verschalung aus rotem Plastik.
Ich schrieb schon Gedichte; ich war Zwölf und wollte auch so eine Maschine besitzen, so einen futuristischen Traum von Dichtkunst. Ich hätte viel modernere Gedichte geschrieben, hätte ich so eine Canon S-50 besessen. Ich wäre ein Rimbaud des Computer-Zeitalters geworden, hätte ein Elektronenhirn gehabt.

Vor einigen Monaten habe ich mir die Canon-Schreibmaschine bei ebay ersteigert, für acht Euro. Aber mir fehlt das Thermopapier, mir fehlt das Netzteil, mir fehlen die Gedichte, die ich mit Dreizehn geschrieben hätte.



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Freitag, 26. Juli 2013

sehet, ein mensch

implantiert mir penfields stimmungsorgel direkt in meinen kopf
   auf dass mein mandelkern aufjauchzet, glückselig und verwirrt
      ein klickender kern ist mein geisterhaftes, nicht kartiertes wesen

elektrisch bin ich müd gemacht. ausgeglüht ist all mein blicken
   in die große schattenschwere welt. der himmel über dem vernichtungshaus
      liegt als das bleischild eines gottes, des atlas auf den dächern

und schwalben fliegen an den lichtreklamen schwer entlang
   ihre flügelbleche klappern hurtig im photonenschweren morgenwind
      mir liegt der schlaf der welt so schwer in meinen dünnen schaltkreisen

das schaf klickt übers dach und schaut durch dachluken ganz blöd und wild
   die androidenschar tanzt in den gassen. gaukler auf dem letzten jahrmarkt
      ihr geist ist mehr wie kühles wasser, es fließt durch ihre schaltkreise

es gaukelt ihnen weltreise durch alle mandelkerne, die verbunden sind
   ein kontinent heißt angst, ein meer aus schauern schwappt durch ihre fleisch
      bezogenen köpfe, die pumpmaschinen sind nichts als winzig kleine bomben

ich will sie weder sehen noch töten. ich will nur fürderhin ein stiller diener sein
   der penfieldschen maschine. ich will im schlaf ertrinken

                                                                                     (für philip k. Dick)




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Mittwoch, 24. Juli 2013

Seit ich Wermut im März abgeschlossen habe, ist kaum noch etwas entstanden. 20 - 25 Gedichte, einige Blogeinträge, ein paar Entwürfe für den neuen Roman.
Eigentlich sollte sich das wie ein Schreibkrise anfühlen, aber zum ersten Mal seit Jahren treibt es mich nicht an den Sekretär. Das liegt vermutlich daran, dass eine Werkphase abgeschlossen ist, die die letzten 15 Jahre umfasst. Schon in den zwei Dutzend Gedichten der letzten vier Monate habe ich versucht, einen neuen Ton zu finden, eine neue Art die Sprache zu (re)konstruieren. Und in dem Roman, der mir bevorsteht, will ich die Worte weiter treiben, als ich dichtender Schäfer es bislang vermocht habe.
Mich fangen die stringent erzählten Geschichten mehr und mehr zu langweilen an, ich muss eine andere Segmentierung des Textes versuchen. Aber wie? Denn eine Geschichte will ich schon erzählen, so etwas wie Oswald Wieners Die Verbesserung von Mitteleuropa würde mir nicht reichen. Wie konstruiert man also ein Textkonvolut, das lose genug ist, um assozativ zu wirken, und verbunden genug, um den potenziellen Leser nicht vor den Kopf zu stoßen?
Probleme der Avantgarde im Dritten Jahrtausend.
Wenn ich mich in der Literatur der letzten 100 Jahre umschaue, denke ich, dass Arno Schmidt einen der interesantesten Ansätze hatte; seine Snapshot-Technik der 50er und frühen 60er Jahre ist ungebrochen fortschrittlich, nur sein Tonfall wirkt mittlerweile etwas staubig.
Robert Anton Wilson hat seine Illuminatus-Bücher auch recht geschickt geschnitten, und Harold Norses Beat Hotel könnte immer noch ein Vorbild sein.
Aber letztendlich ist es doch sehr überraschend, auf wie wenig nichtlineare Romantechniken man zurück greifen kann.
Ich muss also weiter nachdenken und alles aus mir selbst schöpfen. Es ist noch nicht Zeit für den Schreibtisch.

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Sonntag, 21. Juli 2013

Das Sommerfest der kleinen Verlage im LCB war sommerlich und weinselig. Zuviel Licht, Alkohol, Dichtung. Aber ansonsten ausgesprochen hübsch. Leider lässt der Kopfinhalt am nächsten Morgen doch sehr zu wünschen übrig; ein Gedicht kommt da an diesem Sonntag nicht mehr raus. Stattdesen Tee trinken und Fingernägel kauen.

Andrea Schmidt, Dominik Ziller

Jörg Sundermeier

Asmus Trautsch, Richard Duraj

Asmus Trautsch

Richard Duraj

Publikum

Uljana Wolf

Axel Haase, Ulrich Janetzki

Ron Winkler, Daniela Seel

Max Czollek

Aurelie Maurin, Nora Bossong

Tom Bresemann

Georg Leß, Nora Bossong

Jan Valk, Aurelie Maurin

Czollek, Leß, Duraj, Kuhligk

Axel Haase

Nikola Richter

Orsolya Kalász

Mevrouw & Mijnheer de Blank

Ron Winkler

Dominik Ziller

Abend am LCB

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