Dienstag, 30. Juli 2013

Unruhige Nächte. Als wäre der Tod nur eine Gewitterwolke, durch die man hindurch fliegen kann.
Das Auge trinkt Dunkelheit und nimmt Fahrt auf. Atmende Stille vor den Fenstern. Die Jalousien auf Halbmast. Kann man den Traum an langen, grauen Leinen aus sich herausziehen? Ihn als zuckendes Ektoplasma auf den Boden werfen, vor das verflüssigte Bett? Ein Glimmen in der Schwärze, Lichtpunkte, Regen, oder doch nur Wind in den schwarzen, herabhängenden Folien der Nacht, zwischen die kein Taganbruch mehr passt. Diesseits des Ereignishorizonts.




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Sonntag, 28. Juli 2013

Elektronenhirn II

Palm m505, du kammst zu mir geflogen mit anklickbarer Tastatur. Du hast ein Farbdisplay und ganze 8 Megabyte RAM. Du bist ein Herkules, du bist zehn Jahre jünger als Psion 3, der mit seinen 512 Kilobyte mühsam und verschlafen denkt. Psalm, du wirst mir die Dioden in den Äuglein leuchten lassen. Blink, blink.
Epson HX-20, dich rufe ich, mit allen acht Winden, die seit der Antike um meinen Kopf wehen. Du bist die Keilschrifttafel der Notebook-Ära. Psion MC 400, dich rufe ich, mir zu gefallen, und mir deinen Schwarzweiß-Bildschirm zu zeigen: 32 Graustufen, 32 shades of grey, sind dir zu eigen. Und zwischen Keyboard und Display enthüllt sich das allererste Trackpad. Wer braucht da noch eine IBM-Maus, wer kann noch Apple ernstnehmen?




Ich erinnere mich: vor meiner Geburt gab es schon Pong und Spacewar! Es flog im MIT ein Raumschiff über einen runden Bildschirm. Es verlor schon ein Professor gegen das erste starke Schachprogramm MacHack, kurz bevor es endlich Richtung Mond ging. Der erste Mensch der dümmer war, als ein simpler Algorhythmus. Oh, Plankalkül des Konrad Zuse, du hast uns die Misere eingebrockt, der Mensch ist kleiner noch als eine zusammengelötete Platine.




Nullen und Einsen, ich erinnere mich, nahmen wir durch, gleich nach dem Einmaleins. In der 5. Klasse, 1980, versuchte uns ein Mathematiklehrer (sein Name ist im Datenfriedhof versickert) die Strukturen zu vermitteln, den binären Code. Er hatte sicherlich noch nie in seinem Leben die Finger auf das Keyboard eines Sinclair ZX 81 gelegt. Er sah nach Adler-Schreibmaschine aus.

Oh, großer Sony Vaio, ich starre jede Nacht auf deinen goldgefüllten Bildschirm. Deine 2 Gigabyte RAM schleudern mich in gänzlich fremde Welten (wir schreiben das Jahr 2013...). In Foren wirbelst du mich, die seit der Antike unbetreten sind. In den dunklen Schlund von allMystery.

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Samstag, 27. Juli 2013

Elektronenhirn I

Was hätte ich gegeben für einen Sinclair ZX 81, für einen Commodore 64 oder einen Atari mit zehn Kassetten. Doch nicht mal eine Schreibmaschine tackerte ihren Code von Anschlag und Stille in unserer winzig kleinen Wohnung in einem 500 Jahre alten Haus.

Ich drücke mein Ohr an den Sony Vaio VGN und lausche nach dem Klicken der Insektenbeine auf dem Weg von Null zu Eins. Diese Marke hat einen wohlgeformten Klang, seit ich mir in später Kindheit die Earphones eines Walkman TPS-L2 über den Schädel stülpte.

Die Bruderschaft von Psion war unerreichbar, die Mitgliedschaft war viel zu kostspielig. Die frühen Multi-Tasking-Fenster kannte ich nur aus den Schaufenstern von Hertie. Ebenso diesen einen Schachcomputer, silbern, mit dem Greifarm eines Roboters. Er konnte schneller denken als mein Vater, er konnte schneller ziehen als meine Mutter. Er war so ganz und gar nur Null und Eins.




Bei Joe Enderlein gab es Telespiele, drei Konsolen auf dem Altar vor dem Fernsehgerät. Wir steuerten das Raumschiff Zaxxon von Colecovision, hangelten über die tiefen Gruben von Intellivisions Pitfall, versorgten E.T. mit kleinen Keksen, grobgepixelten Atari-Keksen. Und tranken Blue Curacao. Und blätterten in Playboy-Heften, oder klappten mit stillen Gesichtern die Folder in der Penthouse auf.




Die Datenkassette rotierte in der Datasette, und zehn Minuten später war das Turbo-Tape durchgelaufen und der C64 bereit für ein Programm, das dann nur noch eine viertel Stunde laden würde.
Schließlich auf dem Bildschirm: Pacman. Wer hätte je geahnt, dass man dieses Mondgesicht noch dreißig Jahre später sehen würde, in staubigen Reklamen für ein mäßig spaßiges Altersheim?

Als ich noch ein kleines Kind war, hatte mein Großvater einen riesenhaft großen IBM unter einem Staubfang stehen; in seinem Arbeitszimmer ruhte die Kiste ohne Bildschirm und ohne eine Regung. Und niemals dürfte ich sie berühren. Ebensowenig die Canon-Schreibmaschine, die einen Ein-Zeilen-Display hatte und eine Verschalung aus rotem Plastik.
Ich schrieb schon Gedichte; ich war Zwölf und wollte auch so eine Maschine besitzen, so einen futuristischen Traum von Dichtkunst. Ich hätte viel modernere Gedichte geschrieben, hätte ich so eine Canon S-50 besessen. Ich wäre ein Rimbaud des Computer-Zeitalters geworden, hätte ein Elektronenhirn gehabt.

Vor einigen Monaten habe ich mir die Canon-Schreibmaschine bei ebay ersteigert, für acht Euro. Aber mir fehlt das Thermopapier, mir fehlt das Netzteil, mir fehlen die Gedichte, die ich mit Dreizehn geschrieben hätte.



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Freitag, 26. Juli 2013

sehet, ein mensch

implantiert mir penfields stimmungsorgel direkt in meinen kopf
   auf dass mein mandelkern aufjauchzet, glückselig und verwirrt
      ein klickender kern ist mein geisterhaftes, nicht kartiertes wesen

elektrisch bin ich müd gemacht. ausgeglüht ist all mein blicken
   in die große schattenschwere welt. der himmel über dem vernichtungshaus
      liegt als das bleischild eines gottes, des atlas auf den dächern

und schwalben fliegen an den lichtreklamen schwer entlang
   ihre flügelbleche klappern hurtig im photonenschweren morgenwind
      mir liegt der schlaf der welt so schwer in meinen dünnen schaltkreisen

das schaf klickt übers dach und schaut durch dachluken ganz blöd und wild
   die androidenschar tanzt in den gassen. gaukler auf dem letzten jahrmarkt
      ihr geist ist mehr wie kühles wasser, es fließt durch ihre schaltkreise

es gaukelt ihnen weltreise durch alle mandelkerne, die verbunden sind
   ein kontinent heißt angst, ein meer aus schauern schwappt durch ihre fleisch
      bezogenen köpfe, die pumpmaschinen sind nichts als winzig kleine bomben

ich will sie weder sehen noch töten. ich will nur fürderhin ein stiller diener sein
   der penfieldschen maschine. ich will im schlaf ertrinken

                                                                                     (für philip k. Dick)




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Mittwoch, 24. Juli 2013

Seit ich Wermut im März abgeschlossen habe, ist kaum noch etwas entstanden. 20 - 25 Gedichte, einige Blogeinträge, ein paar Entwürfe für den neuen Roman.
Eigentlich sollte sich das wie ein Schreibkrise anfühlen, aber zum ersten Mal seit Jahren treibt es mich nicht an den Sekretär. Das liegt vermutlich daran, dass eine Werkphase abgeschlossen ist, die die letzten 15 Jahre umfasst. Schon in den zwei Dutzend Gedichten der letzten vier Monate habe ich versucht, einen neuen Ton zu finden, eine neue Art die Sprache zu (re)konstruieren. Und in dem Roman, der mir bevorsteht, will ich die Worte weiter treiben, als ich dichtender Schäfer es bislang vermocht habe.
Mich fangen die stringent erzählten Geschichten mehr und mehr zu langweilen an, ich muss eine andere Segmentierung des Textes versuchen. Aber wie? Denn eine Geschichte will ich schon erzählen, so etwas wie Oswald Wieners Die Verbesserung von Mitteleuropa würde mir nicht reichen. Wie konstruiert man also ein Textkonvolut, das lose genug ist, um assozativ zu wirken, und verbunden genug, um den potenziellen Leser nicht vor den Kopf zu stoßen?
Probleme der Avantgarde im Dritten Jahrtausend.
Wenn ich mich in der Literatur der letzten 100 Jahre umschaue, denke ich, dass Arno Schmidt einen der interesantesten Ansätze hatte; seine Snapshot-Technik der 50er und frühen 60er Jahre ist ungebrochen fortschrittlich, nur sein Tonfall wirkt mittlerweile etwas staubig.
Robert Anton Wilson hat seine Illuminatus-Bücher auch recht geschickt geschnitten, und Harold Norses Beat Hotel könnte immer noch ein Vorbild sein.
Aber letztendlich ist es doch sehr überraschend, auf wie wenig nichtlineare Romantechniken man zurück greifen kann.
Ich muss also weiter nachdenken und alles aus mir selbst schöpfen. Es ist noch nicht Zeit für den Schreibtisch.

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Sonntag, 21. Juli 2013

Das Sommerfest der kleinen Verlage im LCB war sommerlich und weinselig. Zuviel Licht, Alkohol, Dichtung. Aber ansonsten ausgesprochen hübsch. Leider lässt der Kopfinhalt am nächsten Morgen doch sehr zu wünschen übrig; ein Gedicht kommt da an diesem Sonntag nicht mehr raus. Stattdesen Tee trinken und Fingernägel kauen.

Andrea Schmidt, Dominik Ziller

Jörg Sundermeier

Asmus Trautsch, Richard Duraj

Asmus Trautsch

Richard Duraj

Publikum

Uljana Wolf

Axel Haase, Ulrich Janetzki

Ron Winkler, Daniela Seel

Max Czollek

Aurelie Maurin, Nora Bossong

Tom Bresemann

Georg Leß, Nora Bossong

Jan Valk, Aurelie Maurin

Czollek, Leß, Duraj, Kuhligk

Axel Haase

Nikola Richter

Orsolya Kalász

Mevrouw & Mijnheer de Blank

Ron Winkler

Dominik Ziller

Abend am LCB

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Donnerstag, 18. Juli 2013

Ich bin das Schnitzel.
Gerade habe ich eine alte Dokumentation über Thomas Brasch gesehen, aus der Reihe Personenbeschreibung von Georg Stefan Troller.
Und die Gedanken stürmten (ballerten), ein Gewitter von Empfindungen: 1977, da war ich ein Kind in der späten Nachkriegszeit, und Nikolas Born war ein paar Jahre zuvor auf dem Bahnhof meiner Geburtsstadt Lüneburg ausgestiegen, unter einem grauen Himmel, in dem noch die Schatten der Bomber geschnitten waren. An meinem Geburtstag war er dort, und schrieb ein Gedicht. Ein ehrliches, ein graues.
Auch Thomas Brasch lebte in diesem Film in einem Grau. West-Berlin sah erhaben und zerstört aus, die Fassaden angefressen. Und ich dachte, mit der Nase dicht am Bildschirm meines internetfähigen Sony Vaio, dass diese Stadt nun keine Trümmer mehr hat, das alles geheimsnislos geworden ist in den Gassen und auch Hauptstraßen, dass die Winkel verschwunden sind, dass die Wohnungen zu vollgestopft wurden, mit Technik & Büchern (die keiner liest) & Lebensmitteln & Sterbensmitteln, und alles nur noch ein sonnenbeschienener lichtloser Ort ist.
Und ich dachte: müsste ich nicht langsam diese Stadt verlassen, richtung Land, richtung Vergangenheit – vielleicht in die Slums von Brasilien ziehen, emigrieren; doch die Slums von Brasilien werden auch schon gentrifiziert, wie ich am Nachmittag in einer Arztpraxis in einem alten Spiegelheft las (auch dieses Medium von mittlerer Größe zum Gossenkern geschrumpft).
Und mir fiel auf, dass man als Dichter immer kurz rasierte Haare tragen kann, egal welches Jahrzehnt im Kalender angeschrieben steht. Wie auch die vielen Erinnerungen angeschrieben stehen, unbezahlt. Der Wirt in der Zeitkneipe hat den Bierfilz längst zerbröselt.


Ich bin das Schnitzel, ihr seid die Gäste, doch wer ist heute mein Kellner?
Georg Stefan Troller ist ein vergessenes Genie, das würde ich in Granit schlagen. Ich habe niemals so gute Fernsehsendungen wie seine Dokumentationen gesehen. Mit dieser assozativen Kamereaarbeit, mit diesen Fragen, die sich beim Sprechen in dem Kopf des Georg Stefan Trollers zu bilden scheinen, die er noch beim Aussprechen hin und her wendet.
Und wenn ich dann die Schlusssequenz des Filmes sehe, dieses minutenlange Grübeln des Thomas Braschs, auf den die Kameralinse schaut, dann weiß ich wieder, warum ich heute keinen Fernseher mehr habe.
Der nächste Gedanke ist: warum sind nicht alle seine Dokumentationen im Netz verfügbar? Warum müssen wir nunmehr verpflichtende Rundfunkgebühren zahlen, für Mutantenstadel und Hofberichterstattung der Tagesschau; und so etwas, so etwas Graues und Kräftiges wird uns vorenthalten? Man könnte auf die Idee kommen, dass sei zu gehirnöffnend für das gemeine Volk; das Volk dürfte das nicht mehr sehen, es könnte das Volk der 70er Jahre werden, es könnte wieder auf dumme Gedanken kommen.
(Und wann endlich wird Braschs 1000-Seiten-Werk Mädchenmörder Brunke veröffentlicht?)


Wann habe ich das letzte Mal das Kürzel DDR ausgesprochen? Irgendwer hier, der dieses Akronym in den letzten zehn Jahren ausgesprochen hat?
Kaum zu glauben, dass es noch vor einer Genration einen zweiten deutschen Staat gab. Und zugleich so erschreckend, dass das schon eine Generation her ist. Es schreiben jetzt (jetzt, Jetztzeit, Gegenwart, schwere Verstörung im Sonnenschein) Dichter Gedichte, die erst nach der Wende geboren wurden. Bald ist der Mauerfall so lange vergangen, wie der Zweite Weltkrieg zum Zeitpunkt meiner Geburt.
Damals Nachkriegszeit, heute Vorkriegszeit. Ich bin das Schnitzel. Im Zeitalter des neuen Wilhelmnismus. Aber geraucht wird nicht mehr, und alles ist in Farbe. 32 Bit. Ich will, dass das alles verschwindet. Und ich will kurze Haare haben. Grau. Fade out. Black.



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Freitag, 12. Juli 2013

Ah, also doch, Kehlmann kann schreiben.
Nachdem ich mich bis an das Ende des Buchs Der fernste Ort gehangelt hatte, und von dem Schluss nicht einmal gelangweilt war, nahm ich mir auf Empfehlung zweier Freunde den Roman Ich und Kaminski vor.
Und plötzlich schaffte Kehlmann das, was ihm bei seiner früheren Novelle nicht gelang: er konnte mich unterhalten, er brachte mich zum Lachen. Denn hier war er offensichtlich in seinem Metier, dessen Stärke nicht die Innensicht oder die stilistische Raffinesse ist, sondern die Geschichte als solches - die mir in Der fernste Ort größtenteils fehlte. Dort schickte er einen langweiligen Protagonisten auf die Flucht, initiiert durch einen inszenierten Badeunfall, der sich gegen Ende eben nicht als inszeniert sondern real erfahren heraustellt; was keine sonderliche Überraschung war, dem Text aber doch eine gewisse Überhöhung gab, die das letzte Viertel des Buchs zum stärksten Abschnitt machte. Den Tod als Winterreise darzustellen ist zwar wenig orginell, aber Kelhmann bringt es zumindest fertig eine Stimmung des Jenseitigen zu erzeugen. Daher war ich mit Der fernste Ort fast schon versöhnt, auch wenn es letztlich kein gutes Buch ist.
Aber es hinderte mich zumindest nicht, ein weiteres in Angriff zu nehmen: Ich und Kaminski. Und das ist gut konstruiert und rasant erzählt, auch wenn der Schluss ein bisschen mager ausfällt: Der Erzähler geht ins Weite, in die leere Zukunft. Gar nicht so unähnlich, wie in der Novelle zuvor.

Ein großer Stilist scheint mir Kelhmann nach wie vor nicht zu sein, aber immerhin langweilt er mich nicht mehr, und ich muss die FLAK auf meinem Elfenbeinturm nicht neuerlich auf das deutsche Feuilleton richten, ob seiner Einfältigkeit.

Zwischendrin dann noch das erste Drittel von Don Delillos Cosmopolis (nebst zweier anderer Bücher, die ich hier nicht besprechen möchte). Der Hype um Delillo ist mir ebenfalls unverständlich geblieben. Ich habe in den letzten Jahren immer mal wieder einen Roman von ihm angefangen, und bin kaum über die ersten fünfzig Seiten hinaus gekommen. Das mag alles gut geschrieben sein, aber mitreißen will mich das nicht.
In Cosmopolis z.B. wird ein kleines Thema ausgewalzt - die Bezuglosigkeit des modernen Finanztykoons in seiner kühlen Welt - aber vor allem die (textbestimmenden) Dialoge tragen nicht; so ungewöhnlich sie in ihrer Art in einem literarischen Zusammenhang sind, sie nutzen sich schnell ab. Und mehr hat der Text nicht zu bieten. Auch hier fehlt wieder die Innensicht, die Reflektion. So bleibt eine oberflächliche Welt nur oberflächlich dargestellt.

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Montag, 8. Juli 2013

Wie kann man nur so langweilig über langweilige Figuren schreiben?
Seit ich in den letzten Tagen zum ersten Mal Daniel Kehlmann gelesen habe, weiß ich erst David Wagner richtig zu schätzen. Hätte ich Leben nach Der fernste Ort gekauft, hätte ich den Roman von Wagner vermutlich für großartig gehalten. Alles ist relativ, selbstverständlich ist es das.
Mein erstes Date mit Kehlmann also, und ich bin gelangweilt. Kein Charme, kein Esprit. Seine Novelle, die als sein viertes Buch 2001 bei Suhrkamp publiziert wurde, ist kurz und zäh, so dass ich, obwohl ich schon achtzig Prozent des Textes gelesen habe, kurz vorm Aufgeben bin.
Möglicherweise ist das sein schlechtestes Buch, aber einen guten Schriftsteller könnte man ja auch mit seiner trübsten Arbeit ertragen. Es ist unfassbar, aber Der fernste Ort erhebt sich stilistisch streckenweise kaum über einen ambitionierten Oberschüler-Aufsatz hinaus. Banal und voller Clichés wird folgerichtig eine Schule beschrieben: Er stieg aus und blickte an der Fassade der Schule hinauf. Ihre vom Regen schwarzen Mauern, die schwer zu bewegende Eingangstür, die Kunststoffböden und der Geruch nach Pullovern und Reinigungsmitteln.
Mein Lektor würde mir solche Passagen erbarmungslos streichen. Hätte das aber sein Lektor getan, wäre die Novelle auf die Hälfte zusammengeschnurt.

Auch Emotionen beschreibt Herr Kehlmann sehr präzise und fern jeder Trivialität: Sein Mund war ausgetrocknet, in seinem Magen hing ein bohrend flaues Gefühl; auf einmal wollte er so sehr nach Hause, dass ihm Tränen in die Augen traten.
Das hat kaum mehr Niveau, als ein Groschenroman. Wie kann man mit so etwas dermaßen mediokren dermaßen bekannt werden, so hochgelobt, geehrt mit mehr als einem Dutzend Auszeichungen? Doch vieleicht, vielleicht ist das ja wirklich sein schlechtestes Buch.
Und die Stilblüten, die kann er, die macht er ganz grandiös: Die Möbel zeichneten sich als scharf umrissene Schemen ab.
Entschuldigen Sie, lieber Autor, liebster Lektor: entweder scharf umrissen oder schemenhaft. Das muss einem doch auffallen.

Aber was wird hier eigentlich erzählt? - Ein langweiliger Mann namens Julian versucht seinem Leben zu entfliehen, täuscht einen Badeunfall vor, trifft per Zufall seinen etwas verschrobenen Bruder (der einzigen halbwegs interessanten Gestalt des Textes)... und weiter bin ich noch nicht vorgedrungen. Achtzig Prozent des Buches.
Unelegant unterfüttert wird das mit der Erinnerung des Protagonisten, die ihn zu einer anderen Flucht zurückführt, die aber ebenso uninteressant ist.
Zwischendurch hat dieser Julian das Gefühl, sein Ich würde sich auflösen; und was nimmt der Autor hierfür zur Veranschaulichung, na? Na? - Spiegel! Spiegelbilder, spiegelnde Flächen, Ich-Verlust. Grundgütiger!

Ich habe bislang einen Bogen um das Werk Kehlmanns gemacht, weil ich nie das Gefühl losgeworden bin, dass er zu Unrecht vom Feuilleton hochgeschrieben wurde. Das stimmt anscheinend. Aber ich werde seinem Werk noch eine Chance geben. Nachdem ich mich durch Der fernste Ort gequält haben werde, nehme ich mir Ruhm vor, seinen neusten Roman. Es kann ja sein, dass er in den letzten zehn Jahren zu einem 1a-Schriftsteller herangewachsen ist.
Andernfalls werde ich nicht zum ersten Mal am deutschen Feuilleton verzweifeln.

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Erfreulicher als die Misere des Kehlmanschen Oevres, ist mein neustes Spielzeug. Gestern habe ich mir einen Palm m505 nebst zusammenklappbarer Tastatur bei ebay ersteigert. Ich war in den letzten Tagen auf der Suche nach einer geeigneten Hülle für meinen 4-Zoll-eBook-Reader, und stieß so auf das Zubehör für den  legendären PDA. Und musste feststellen, dass der Preisverfall von Computern jedwelcher Art erschreckend ist. 2001 wurde der Palm m505 für 1200 DM auf den Markt gebracht, nunmehr bekommt man ihn mit einem Konvulut Zubehör (das sicher auch nicht ganz billig gewesen ist) für schlappe 8 Euro in der elektronischen Bucht.
Vor zehn Jahren noch ein für mich unbezahlbares Manager-Gadget, jetzt schon Elektroschrott, wenn nicht gar Sondermüll - ein älteres Modell mit S/W-Bildschirm erhält man zum Grundgebot von einem Euro.
Jetzt habe ich also eine "Schreibmaschine" für unterwegs, die kaum mehr als 350 Gramm wiegt und in meine Jackettasche passt.
Und ich bin sehr gespannt, ob der Palm meinen Kindle erkennen kann, dann hätte ich nämlich ein portables Büro, das kein Pfund wiegt.
Ich werde in den Kaffehäusern sitzen, meinen Palm mit angeklemmter Tastatur auf der Resopalplatte, und ich werde aussehen wie ein Penner-Manager.


Palm m505 mit Keyboard

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Dienstag, 2. Juli 2013

Letzte Woche Sand von Herrndorf gelesen. Bester Roman der letzten zehn Jahre. Allein schon der Anfang, dieses äußere und innere Panorama, das sich da auftut. Und die Figur der Helen Gliese (der Name der Sterne in Skorpion und Waage), selten eine so gute Charakterisierung in einem zeitgenössischen Roman gelesen. Darüber hinaus bin ich mir allerdings unsicher, ob Cetrois und Polidorio die selbe Person ist. Wäre dramaturgisch naheliegend. Aber ich glaube mich zu erinnern, dass Cetrois an der Auffahrt der Villa vorbei taumelt, in der zur gleichen Zeit Polidorio den blasierten Schriftsteller besucht.
Vermutlich ist der karierte Anzug des Rätsels Lösung. Ich muss den Roman in diesem Sommer ein zweites Mal lesen.

Was mich erneut verunsichert hat, war die so plastische Beschreibung der Wüste. Natürlich war sie plastisch, Herrndorf war ja im vorletzten Jahr dort. Die Verunsicherung betrifft auch nur mich selbst, denn in meinem nächsten Roman (mit dessen Entwürfen ich mich gerade beschäftige) wird die Wüste (Nevadas) eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Blöd nur, dass die einzigen Dünen, die ich jemals gesehen habe, bei Scheveningen an der Nordsee liegen. Ich hoffe, ich werde es besser als Karl May hinbekommen.

Seit gestern Morgen dann zum dritten Mal Arbeit und Struktur in einem Rutsch gelesen. Neben Sand sein bestes Werk, wie ich finde. Noch selten einen derart eindringlichen Text gelesen. Nun warte ich auf seine letzten Einträge die, befürchte ich, bald erscheinen werden.

Parallel dazu Leben von David Wagner. Natürlich lange nicht so gut und tiefsinnig, es fehlen in dem Buch die Reflektionen, das Innenleben; aber als eigenständiger Text gar nicht mal schlecht. Ich habe es jedenfalls bis zum Ende gelesen, und mich nicht darüber geärgert, dass Wagner dafür den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat. Interessant auch, dass wie in unserer Jugend offensichtlich partiell den gleichen Musikgeschmack hatten: Joy Division, The Cure, Souixsie and the Banshees. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Hätte bei ihm eher auf Duran Duran, maximal auf Depeche Mode getippt.
Vermutlich sollte ich Leben erneut lesen, wenn Herrndorfs Blog in meinem Kopf wieder etwas verblasst ist. Vermutlich ist das in Wirklichkeit ein gutes Buch.

Mittlerweile natürlich in einer reichlich morbiden Stimmung (noch morbider als sowieso schon immer). Stehe alle halbe Stunde auf dem Balkon in der Sonne, rauche Camel Filter (Marke meines verstorbenen Vaters) oder West (Marke meiner verstorbenen Mutter) und sinniere über den eigenen Tod. Momento Mori. Auch nichts Neues.

Ansonsten ein paar Gedichte geschrieben und über den Roman nachgedacht, den ich wahnsinnig gerne Licht & Blindheit nennen würde. Geht natürlich nicht.
Immerhin ist mir gestern im Halbschlaf eingefallen, wie ich das Motivationsproblem der zentralen Figur lösen kann: mit dem Angebot, ihr einen Computerchip ins Gehirn zu verpflanzen.

Sehr unsicher bin ich mir aber noch über die Struktur des Ganzen. Soll ich mit Spannungsbogen und Plotpoint arbeiten (so wie bedingt im letzten Manuskript - Wermut), oder bastle ich ein riesiges Gestrüpp verschiedener Segmente aus Zeit und Raum zusammen? Und wie behandle ich die wörtliche Rede im frühen 18ten Jhdt, euro Gnaden?

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In den letzten Wochen immer wieder mal über den Bachmann-Preis nachgedacht. Zum dem Schluß gekommen: seit sicher zehn Jahren unnötige Veranstaltung.
TV ist eh scheiße. Und wären endlich alle Literaturverwurstungsshows im TV verwurstet und runtergespült, wäre der Bachmann-Preis Geschichte, ebenso wie alles was zum Beispiel Thea Dorn verbricht bis zum Erbrechen, dann würde vielleicht, vielleicht die wirklich relevante Literatur unserer Generation wahrgenommen werden.
Urteil natürlich schwer getrübt durch die Kränkung, trotz zweimaligem Bewerbs dort nicht eingeladen worden zu sein.
Immerhin haben sie vor Jahren Herrndorf zum Tanz aufgefordert, wenn er am Ende des Abends auch nicht das Blumenbuket zugeworfen bekam.

Von Kränkungen gesprochen: seit der Umsonst-Aktion auf Amazon hat sich die eBook-Ausgabe von Bitterstoffe kein einziges Mal verkauft. Kein einziges Exemplar. Völliges Scheitern. Und die Fahnen hängen schlapp in der absoluten Windstille.

Aber: mein vierter Gedichtband wird im Oktober erscheinen. Cover und Klappe sind schon fertig (Lektorat steht noch aus, was mich ein bisschen unruhig macht):



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