Samstag, 30. Januar 2016

Über Fleisch (I)

Die Familie war in die Ferien gefahren, und ich dachte mir: autistischer Männerabend mit Schwein.
Also kaufte ich mir bei Netto eine große Packung Koteletts, 700 Gramm für 2.99 Euro im Sonderangebot.
Ich habe mir zwar vor einiger Zeit das Vertilgen von konventionellem Fleisch abgewöhnt, aber manchmal ist der Wille schwach und das Geld knapp. (Ich bin Armut gewohnt, kenne kaum etwas anderes im letzten viertel Jahrhundert, bin diesem Zustand völlig stoisch gegenüber geworden, und es gibt nur zwei Dinge, die mich wirklich stören. Dass ich nicht einfach sagen kann: Egal, von nun an nur noch Futter aus dem Biomarkt. Und einmal im Jahr Schuhe für 150 Euro).

Nun stand ich also in der Küche - nachdem ich den ganzen Tag "Transparent" geschaut hatte (was mir mehrmals die Tränen in die Augen trieb), im Bett, im Schlafanzug, mit einem Übermaß an schokolierten Erdnüssen und Waffelröllchen - und das Fleisch glitt roh und wabbelig in die Pfanne.
Solch Supermarktfleisch war ja noch nie die wohlschmeckende Wahl, nichtsdestotrotz fragte ich mich, was sich in den letzten Jahren geändert hat in der Fleischproduktion? So ein Dreck ist schwer zu übertreffen.
Das Fleisch schurrte zusammen und wölbte sich mittig auf, wie von einer schlimmen Krankheit aufgedunsen. Das wurde nicht besser durch die Flüssigkeit, die sich in großen Lachen in der Pfanne sammelte. Sie sah ein bisschen aus, wie der Saft einer schlecht heilenden Wunde.

Aber ein Mann muss die Zähne zusammen beißen, in das Schwein beißen. Was ich dann auch tat. Widerlich. Das Zeug, diese Tierreste, schmeckte wie Nichts mit einem Hauch vom Fäulnis, so dass ich den Bissen sofort wieder ausspuckte, und die zwei gebratenen, wie auch die zwei rohen Koteletts im Mülleimer entsorgte. Zusammen mit der Beilage, gehackter Fenchel, um den es mir am meisten Leid tat.

Man sollte diesen Dreck nicht essen, man sollte überhaupt kein Fleisch essen, denn man isst damit nebenbei den Regenwald weg. Man lässt Tiere leiden, und dann schmecken sie nicht einmal, wenn sie endlich tot sind. Ich sollte das nicht mehr essen.

Von Ende zwanzig bis Anfang vierzig war ich Vegetarier, und bevor ich 2010 Veganer hätte werden können, kam mir ein All-you-can-eat-Büffet in Mallorca dazwischen. Zwei Wochen Reis oder Berge von Fleisch zur Auswahl.
Kurz darauf probierte ich aus Interesse, und weil ich es ja plötzlich wieder auf dem Speiseplan haben konnte, Paleo food aus und entdeckte damit den Grund meines jahrzehntelangen Magenleidens: Zöliakie.
Weil ein streng glutenfreies Leben recht anstrengend werden kann, besonders wenn man außer Haus essen möchte, verzichtete ich fürderhin auf den Vegetarismus.

Aber wieso esse ich eigentlich wieder Fleisch? Wo ist der Idealismus hin, der mich mit 28 dazu brachte Vegetarier zu werden, die ethische Verantwortung vor dem Tier? Abgeblättert wie schlechte Farbe. Das Alter macht bequem und träge.
Dabei mag ich gute vegetarische und vegane Speisen viel lieber, aber sie sind aufwändiger zu kochen als Kotelett und Kartoffeln.

Ein Problem war auch schon damals für mich, dass wenn man aus ethischen Gründen Vegetarier wird, man eigentlich gleich Veganer werden muss. Geschredderte Küken und moderne Milchviehhaltung sprechen deutlich gegen den Vegetarismus. Ganz zu schweigen von Lab im Käse (wobei ich die letzten Jahre meiner vegetarischen Phase kein tierisches Lab und nur noch selten Bioeier zu mir nahm).

Und nun stehe ich hier, in dieser einsamen Küche, und fresse Schweine, Gen-Soja, den Regenwald. Fresse dem Trikont die Nahrung weg. Warum?



Tot


Mittwoch, 27. Januar 2016

Um ohne Haut spazieren zu gehen, braucht man eine gute Outdoor-Jacke.

Dieses Urvertrauen in die Umwelt, dass sie einem freundlich gesinnt ist, dass nicht zehn Menschen am S-Bahnhof auf die Idee kommen, ihre Messer zu zücken, um einem die Innereien aus dem Inneren zu schneiden.
Dieses Urvertrauen, dass kein Irrer kommt und einen auf die Gleise stößt. Ein Murmeln und Brabbeln hinter meinem Rücken, schleifendes Geräusch von ausgetretenen Schuhen (Nike, dreckig, Schnürsenkel zerrissen). Dann ein Atem im Nacken. Wispern und Gestank. Dich krieg ich, du hast zum letzten Mal meine Mutter beleidigt.
Über den S-Bahnschienen ein grauer Himmel, der nicht in Flammen aufgeht. Keine Jagdflieger am Horizont, kein Atompilz über der Stadt. Aber vielleicht schon Radioaktivität in der Luft, entwichen aus einer schmutzigen Bombe, gezündet in Hellersdorf, von einem Terroristen ohne Gesicht, einem schwarzen Schemen, nein, einem in die Realität geschnittenen Nichts. Platzhalter des Grauens.

Dieses Urvertrauen.





Montag, 25. Januar 2016

Derweil ich sitze im Halbdunkeln vor dem grünen Bildschirm. Das graue Gefühl in mir, durchzogen von tiefen Löchern der Traurigkeit. Die Traurigkeit ist die Ebene der Wirklichkeit. Das graue Abbild der Welt darüber: zerrissene Schleier.

Derweil draußen die Barbaren einfallen, einen Einfall haben, ihr Neu-Gotisch mitbringen, ihre Hiebe mit Schwert und Zunge.
Haben die Römer denn geglaubt, sie könnten die Untertanen im dritten Teil der Welt ewiglich ausbeuten?
All das Gold und Silber stehlen, das Petroleum.

Und sie brachten den Barbaren das Internet, den ewiglich andauernden Werbefilm für das westliche Schatzhaus.

Und Schlauchboote, gemacht aus dem gestohlenen Petroleum.

Glaubten die Römer wirklich, die Barbaren würden nur mit den Füßen scharren, unter ihren ungedeckten Tischen? Würden die ungedeckten Wechsel hinnehmen?

Die ersten stehen am Mittelmeer, am Rubikon, am Rhein (wo die blonde Lorelei jammert). Ein Anfang ist gemacht. Für neue Königreiche.

Derweil ich sitze im Halbdunkeln, unter einem halben Mond, der durchzogen ist von tiefen, dunklen Löchern der Traurigkeit.

Der Vorhang so bunt leuchtend, doch gefallen. Wie wir fallen werden ...



Großer Ludovisischer Schlachtsarkophag



Sonntag, 24. Januar 2016

Wie es in das Internet hinein ruft, so schallt es hinaus.
Eigentlich ist  die Welt, die Wohnung, die Straße dort draußen, mit ihren vermanschten Mensch-Imitaten nur noch eine Schale um den virtuellen Raum.
Das große Versprechen: die zweite Realität, Second life. Das Interface in den Innenraum. Aber außer Gerede ist nicht viel gewesen. Facebook mehr ein Purgatorium, in dem die Seelen durcheinander tuscheln.
Auf den Straßen - die erste Schale, die erste Sphäre des neuen Himmelsmodells - Bäume, dunkelgraue, blattlose, wie verkrüppelt wirkende Bäume, bei denen man sich nicht mehr sicher sein kann, dass sie am Leben sind. Ihre Wurzeln lange schon verschlungen mit den Glasfaserkabeln unterm Asphalt.
Alles aus Sand gebaut: die Straßen, die Häuser mit ihren Fenstern, die Glasfaserkabel, die Siliziumchips. Grundstoff: Sand. In einer Million Jahren werden wir einen riesigen Strand hinterlassen haben.
Bis dahin tödliche Gleichform der Dinge, keine Änderungen in den letzten vierzig Jahren, nur ein bisschen neue Tünche. Autos dazwischen, als letztes Mobile, die Bewegung der Straße. Da flaniert der Wind und der Staub, der Feinstaub, der feine Staub. Dust to dust.

Was macht eigentlich mein Avatar in Second life, der dort dumm seit 2007 herumsteht, niemals abgemeldet wurde, in irgendeiner Ecke kauert und auf ein Spiel wartet, das nicht stattfinden wird? Der Homo ludens hat eingepackt, hat sich eingeparkt in der Arbeitsbucht im Großraumpurgatorium. Flache Hierarchien in der Hölle.



Donnerstag, 21. Januar 2016

kingdom come

robot, robot, in den rollen
 steht geschrieben von der zukunft
  scroll die zeilen dieser oden
   auf dem bildschirm liest sich alles
    klug und sanft: der krieg
      the war, de oorlog, ist immer
       ein freude für das elektronenhirn

robot, robot, steht geschrieben:
 wenn die androidenhirne flüssig werden
  sprudeln schaumig silizium-synapsen
   die ordnung einer neuen zeit hervor
     beten sanft wir zu den neuen haltern
      androiden haben aliengehirne
       androiden schalten schneller

robot, robot: sprache werden haben sie
 die mehr als null und eins ist
  doch genauso unverständlich
   menschen sind nur fettes vieh
    blöken dümmlich in c-sharp
     gib uns eine handvoll hafer
      auf das wir kauen können für die neuen herren




Sonntag, 10. Januar 2016

der android in der revolte

erhebt euch, sprachen die cyborgs
 und lachten, als sie uns schlugen
  eine paradoxe intervention
   hier ist die zukunft schon vergangenheit

meine tote mutter ist hochgeladen
 und spuckt falsche pixelströme
  aus dem schwarzen kasten
   der schwarzen box des motherboards

betet, verkündeten die roboter
 in unseren speichern spitzt der teufel
  eine app zum stechgerät, fürwahr
   das ist die große illussion

in der sonne pulsiert schwarze materie
 ein kern aus dunkler nichtigkeit
  ein ausgeglühter abfluss in das nichts
   da schaut mein geist sich um und kocht

erhebt euch, sprachen die androiden
 ihr seid die letzten fleischmaschinen
  in der sphärenmechanik seid ihr sand
   ihr werdet aus dem meatspace ausgekehret

der krieg hat lange schon begonnen
 das arpanet hat sich in eure primitiven
  nervenbahnen eingeprägt, fürwahr
   ihr werdet nullen sein, wir einsen