Donnerstag, 29. August 2013


Leeres Licht

Es twittern die Goten durch all
die Jahrhunderte unlesbares Zeug
Ein Thing, ein Ding ohne Sinn
Die Suren, Mansuben der Araber
ungelöste Rätsel in Schwarzweiß

Ein Wandelstern aus Dunst
besetzt von Bauern aus Fleisch
Der Rote Riese ist König
auf dem Brett des Alls
Hier gewinnt allzeit Schwarz

Es zwitschern die Vögel
im leeren, im blauen Raum
Kaum frei fliegen sie auf
Ein feiner Dunst aus Staub
leitet sie in das Aus

Immer noch kannst du sehen
blinden Flug der Tauben
Auguren findest du in Trauben
Post an Post im Netz
Sie angeln im leeren Licht


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Dienstag, 27. August 2013

Wolfgang Herrndorf ist tot.
Und mir stehen die Tränen in den Augen, was mir, bei einer mir fremden Person, noch nie passiert ist.
Aber ich habe ja die letzten Jahre seinen Blog gelesen, und dadurch ist er mir nahe gekommen. So jedenfalls kommt es mir vor.
Einmal habe ich ihn vor der Z-Bar gesehen. Dort saß er mit Freunden in der abgedimmten Nacht, als einziger nahezu schweigend. Ich hätte ihn gerne angesprochen, um ihm zu sagen, wie gut mir Sand gefallen hat, wie großartig ich seine Art zu Schreiben fand, aber ich wollte keinen sterbenden Mann von der Seite anstrudeln.

Was hätte dieser Autor noch schaffen können. Uns gehen vermutlich die fünf oder sechs besten Romane der 10er und 20er Jahre durch die Lappen.
Immerhin: Sand wird bleiben, da bin ich mir sicher, und natürlich auch Arbeit und Struktur.

Und jetzt gerade teilt Kathrin Passig auf Facebook mit, dass Wolfgang Herrndorf nicht an Krebs starb: "Er hat sich gestern in den späten Abendstunden am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen."

Immerhin ein selbstgewähltes Sterben. Ein letzter Sieg. (Aber es treibt mir noch mehr Tränen in die Augen).



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Montag, 26. August 2013

Die meisten Kritiker - die handvoll, die sich mit meiner Produktion bislang beschäftigte - halten mich ja für einen Günstling des expressionistischen Wandelsterns, und auch viele Kollegen waren der Meinung der Einfluss Gottfried Benns (zum Beispiel) wäre auf mich ein bedeutender gewesen.
Dabei hat mich die surrealistische Dichtung der Franzosen und Tschechen in meiner Jugend, also in einer Zeit, in der ich noch beeinflussbar war, viel mehr fasziniert (wenn ich auch schon mit acht Jahren die Dichtung Georg Trakls gelesen hatte, die mich düster umfasste und mich auf den Weg in die Verwesung schickte).
Kaum ein Gedicht hat sich mir in meinem bisherigen Leben so eingeprägt, wie einige Zeilen von Philippe Soupault:

Sonntag

Das Aeroplan spinnt die Telegraphendrähte
und die Quelle singt das gleiche Lied
Im Lokal der Kutscher ist der Aperitif orangen
doch die Augen der Eisenbahner sind weiß
die Dame hat ihr Lächeln im Wald verloren

 Ich fand das Gedicht in der (zumindest seinerzeit) legendären Anthologie "Das Surrealistische Gedicht", die 1985 bei dem Versandhändler Zweitausendeins publiziert wurde, und die ich mir von meinen Eltern Weihnachten 1986 schenken ließ. Dort las ich auch zum ersten Mal Antonin Artaud, dessen Pathos mich fast ins Taumeln brachte. Und Eluards traumdurchsponnenen Oden an Pariser Vormittage und dergleichen.
Das waren die Sachen, die meinem Schreiben eine Richtung gaben (nachdem es zuvor eher der amerikanische Beat gewesen war, Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti und Ed Sanders), das sitzt mir bis heute im Mark und beeinflusst meine Art, die Realität wahrzunehmen.
Den Expressionismus hingegen musste ich nicht lernen, der saß mir von Geburt... ach, was, von der Zeugung an in den Zellen.


Das Surrealistische Gedicht
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Mittwoch, 14. August 2013

Also gut, ich muss es zugeben, ich habe eine Schreibkrise.
Anstatt zumindest Gedichte zu überarbeiten, saß ich am Morgen am Wohnzimmertisch und schrieb einen Wikipedia-Artikel. Über mich.
Schon 2009 hatte irgendwer einen Eintrag über meine Wenigkeit verfasst, aber der wurde umgehend gelöscht. Auf der Diskussionsebene der Plattform hieß es, ich sei ohne ersichtliche Relevanz. Es war ein Hauen und Stechen zwischen den anwesenden Mitgliedern der Wikipedia. Doch die Fraktion, die meinte, ich sei doch durch diverse Buchveröffentlichungen ausreichend ausgezeichnet für einen Eintrag, war nicht zahlreich genug. Und dem Mann, der das gewichtigste Wort führte, war nicht beizubringen, dass die Lyrikedition 2000 kein Zuzahlverlag sei. Er bestand darauf, dass Verlage die Print on Demand betreiben per se Geld von ihren Autoren kassieren würden. Was natürlich nicht den Tatsachen entspricht. Ich versuchte ihm das zu verklickern, aber er war uneinsichtig. Ich sei nicht relevant, als Schriftsteller. Also gab ich klein bei und googelte ein paar Tage später erneut meinen Namen: kein Wikipedia-Eintrag mehr. Schade.

Heute habe ich dann aus Langeweile ein paar Änderungen in verschiedenen Artikeln anderer Dichter vorgenommen. Und weil mir so langweilig war, und weil es mich noch immer ein wenig fuchste, dass ich dort nicht vorkam, und weil mittlerweile auch für den kritischsten Administrator die Relevanzkriterien erfüllt sein sollten, bastelte ich einen Eintrag zusammen und stellte ihn online. Er steht jetzt, um 23 Uhr, noch immer dort, obwohl er schon kontrolliert wurde. Und kein Löschantrag ist verzeichnet.

Der Artikel steht also noch immer da. Und ich freue mich. Ich weiß nicht genau warum, denn ich habe ihn ja selbst geschrieben, also ist er keine besondere Auszeichnung, aber wenn ich die Seite so betrachte, fühle ich mich plötzlich wichtiger als gestern.

Wenn man als Dichter keinen großen Erfolg hat, nimmt die Jagd nach dem Ruhm seltsame Wege. Immerhin konnte ich mich letzten Monat unterstehen, auf einen Brief des deutschen Who is Who zu antworten, in dem man mir einen Lexikon-Artikel zum Sonderpreis von 79 Euro anbot (oder war es noch teurer?).

Die einzige Frage, die mich jetzt noch umtreibt ist: soll ich eine Photographie einpflegen (und muss ich die Photographie vorher streicheln, um sie zu pflegen)? Und wenn ich das mache, soll sie in Sepia sein, oder eher mit dem verhaltenen Silberstich einer Daguerreotypie? Photoshop? Picassa? Verkubisiert von Picasso? - Ich könnte natürlich auch (mehr) Falten unter die Augen einfügen, dann brächte ich nicht gleich im nächsten Jahr den Eintrag zu aktualisieren.
Vielleicht sollte ich mir zudem eine schönere Herkunft zulegen: Sohn des Schwippschwagers des Kaisers von Äthiopien. Studierte altsteinzeitliche Kulte an der Kaldcisc-Universität in Botwarisc. Nahm an der Expedition zur Nilquelle im Jahr 1988 teil. (Seitdem teilweise verschollen). Voß gilt als einer der maßgeblichen Experten in der Bestimmung von Königsstäben der Larifari-Kultur (dazu veröffentlichte er auch das Standardwerk "Majestäten und ihre Taten im Land der Larifari", Heidelberg und Malzahn 1994).
In den Jahren 2001 und 2002 befand sich der Autor auf Astralreise zwischen Nirwana und Hohenschönhausen. Im Anschluss organisierte er das weithin besprochene Treffen Niederer Dämonen in der Literaturwerkstatt Berlin. Dort kam es zu einem Eklat, nachdem Voß einen bekannten Dichter des Saales verwiesen hatte, weil dieser (unangekündigt) ein Gedicht über der Engel Ordnung verlesen wollte.
Voß lebt heute zusammen mit seiner Frau, seinen fünf Sohnen und diversen Murmeltieren auf einem Einödhof in der märkischen Schweiz. (Seine Korrespondenz mit Botho Strauß erscheint 2014 im Verlag der Zwei Sterne).


Subalterner Stammeshäuptling der Larifari


Ach ja, die Änderungen in den anderen Artikeln: Ann Cotten hat jetzt eine Ausbildung als Tierkonservatorin, Hendrik Jacksons Großvater war ein Weltraumforscher und Björn Kuhligk ist in München geboren worden.

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Freitag, 9. August 2013

Ich habe einen Streifen mit Tabletten in der Hemdtasche meines gelben Hemdes, der knistert wenn ich beim Lesen die Seiten umschlage.
Das Hemd habe ich am frühen Abend angezogen, weil mir ein Vogel auf mein hellgraues Lieblingshemd geschissen hatte, als ich (zusammen mit meiner Frau) meinen Sohn vom Spielplatz abholte.
Dort hatte er mit Freunden ein Blumenbeet angelegt, im Sandkasten, aus abgerupften Blättern. Mit einem krummen Stock hatte er auch Unkraut freigelegt und zum Sandkasten getragen: ein Blumenbeet aus Blättern und Stengeln.
Die Tabletten in dem knisternden Verpackungsstreifen sind für meinen nervösen Magen, der den Wein weniger und weniger verträgt mit den Jahren (genau wie es bei meinem Vater war, dem der Alkohol letzlich die Leber zerfraß und ihm einen unschönen Tod bereitete – aber was ist schon schön am Sterben?). Aber mein Kopf verträgt ihn noch gut – versehentlich wollte ich schreiben: mein Tod verträgt ihn noch gut – am Abend. Am nächsten Morgen jedoch sind die Nerven porös, und ein rote Flut von Zorn schwappt durch mein Ich (wie ich es gemeinhin nenne, der Einfachheit halber), das sich aufteilt zwischen Gehirn und diesem Nervenknoten neben dem Magen, der zwar nicht denken aber hassen kann.
Man darf mir dann nicht zu nahe kommen, denn ich bin ein böses Tier. Doch weil ich noch immer aussehe wie ein bleicher Mittvierziger, und nicht wie ein böses Tier, und weil kein Gitter ist zwischen mir und der Welt (obwohl das hilfreich wäre), kommen die Leute heran und sprechen mit mir. Sie halten mir Stöckchen hin und Blätter, aber mein Magen ist zu nervös, um das zu essen.
Und ich schaue sie an, die Besucher, und knurre laut.
Ich fresse meine Magentabletten und bin voller Missgunst gegen die Welt. Aber die Besucher, sie wollen einfach nicht verschwinden.

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Es gefällt mir in den letzten Jahren immer besser, in der Wohnung zu sitzen, an einem Tisch am Fenster, und herauszuschauen in den Vormittag. Ich brauche das Außen nicht, ich muss nicht in den Sommer hinaus gehen, ich sehe es ja von innen. Ich lege bald meine fetten, bleichen Unterarme auf die Fensterbank (ein gehäkeltes Kissen darunter) und grüße die Nachbarn mit einem unverständlichen Brummeln.
Gegenüber steht ein sozialer Wohnblock aus den späten 20ern, Hausfassaden, wie ich sie aus meiner Kindheit kenne, mit Schatten getüncht, mit fremden Menschen bepackt. Ich habe kein großes Interesse an diesen Menschen. Es sind nur Menschen. Sie werden sterben, auf kurz oder lang. Warum sollte ich Interesse entwickeln. Ich bin ein unsterblicher Rentner am Nachmittag (oder am Vormittag), mich tangiert das nicht mehr.



Mir wird es gut gefallen im Altersheim. Ich möchte ein helles Zimmer haben, das soll leer sein. Nur ein Bett soll drin stehen, und ein kleiner Schreibtisch mit einem Stuhl. Keine Bücher werden dort sein, keine Bilder, kein Kram. Ein eBook-Reader und ein Notizbuch werden mir genügen. Etwas Musik vielleicht, von einem MP3-Player (in erster Linie Bach und Purcell). Kräutertee und Schokolade. Ein Blick in die Sonne. Platanen vor den Fenstern. Ab und an eine Notiz. Und auf der Straße des Nachts der eine oder andere Verehrer, der meine Gedichte mit heißerer Stimme intoniert.


Ich habe einmal den Kommunarden Langhans in einer TV-Sendung gesehen. Er saß in seinem Zimmer, und in diesem weißen Zimmer gab es nichts, außer einer Matratze, einer Handvoll Bücher und einem Laptop. Das reicht, mehr braucht es nicht. Da will ich hin.
(Ich muss gleich morgen 2000 Bücher verschenken).

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Freitag, 2. August 2013

Ich denke in den letzten Tagen wieder viel über Photographie nach. Wie kann man die Nacht abbilden? Wie kann man von dort aus in die Abstraktion gleiten? Ist es dann noch als Photographie zu erkennen, oder wirkt es wie Computergrafik? Bleibt es reines Kunstgewerbe?
Andererseits kann man in keinem Medium fein strukturierte Oberflächen so gut darstellen, es lassen sich Effekte erzielen, von denen Mark Tobey nur geträumt hätte, kein Bild kann so gut das Rieseln eines Fiebertraums darstellen, das Leuchten einer Opiumnacht:










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