Freitag, 9. August 2013

Ich habe einen Streifen mit Tabletten in der Hemdtasche meines gelben Hemdes, der knistert wenn ich beim Lesen die Seiten umschlage.
Das Hemd habe ich am frühen Abend angezogen, weil mir ein Vogel auf mein hellgraues Lieblingshemd geschissen hatte, als ich (zusammen mit meiner Frau) meinen Sohn vom Spielplatz abholte.
Dort hatte er mit Freunden ein Blumenbeet angelegt, im Sandkasten, aus abgerupften Blättern. Mit einem krummen Stock hatte er auch Unkraut freigelegt und zum Sandkasten getragen: ein Blumenbeet aus Blättern und Stengeln.
Die Tabletten in dem knisternden Verpackungsstreifen sind für meinen nervösen Magen, der den Wein weniger und weniger verträgt mit den Jahren (genau wie es bei meinem Vater war, dem der Alkohol letzlich die Leber zerfraß und ihm einen unschönen Tod bereitete – aber was ist schon schön am Sterben?). Aber mein Kopf verträgt ihn noch gut – versehentlich wollte ich schreiben: mein Tod verträgt ihn noch gut – am Abend. Am nächsten Morgen jedoch sind die Nerven porös, und ein rote Flut von Zorn schwappt durch mein Ich (wie ich es gemeinhin nenne, der Einfachheit halber), das sich aufteilt zwischen Gehirn und diesem Nervenknoten neben dem Magen, der zwar nicht denken aber hassen kann.
Man darf mir dann nicht zu nahe kommen, denn ich bin ein böses Tier. Doch weil ich noch immer aussehe wie ein bleicher Mittvierziger, und nicht wie ein böses Tier, und weil kein Gitter ist zwischen mir und der Welt (obwohl das hilfreich wäre), kommen die Leute heran und sprechen mit mir. Sie halten mir Stöckchen hin und Blätter, aber mein Magen ist zu nervös, um das zu essen.
Und ich schaue sie an, die Besucher, und knurre laut.
Ich fresse meine Magentabletten und bin voller Missgunst gegen die Welt. Aber die Besucher, sie wollen einfach nicht verschwinden.

*

Es gefällt mir in den letzten Jahren immer besser, in der Wohnung zu sitzen, an einem Tisch am Fenster, und herauszuschauen in den Vormittag. Ich brauche das Außen nicht, ich muss nicht in den Sommer hinaus gehen, ich sehe es ja von innen. Ich lege bald meine fetten, bleichen Unterarme auf die Fensterbank (ein gehäkeltes Kissen darunter) und grüße die Nachbarn mit einem unverständlichen Brummeln.
Gegenüber steht ein sozialer Wohnblock aus den späten 20ern, Hausfassaden, wie ich sie aus meiner Kindheit kenne, mit Schatten getüncht, mit fremden Menschen bepackt. Ich habe kein großes Interesse an diesen Menschen. Es sind nur Menschen. Sie werden sterben, auf kurz oder lang. Warum sollte ich Interesse entwickeln. Ich bin ein unsterblicher Rentner am Nachmittag (oder am Vormittag), mich tangiert das nicht mehr.



Mir wird es gut gefallen im Altersheim. Ich möchte ein helles Zimmer haben, das soll leer sein. Nur ein Bett soll drin stehen, und ein kleiner Schreibtisch mit einem Stuhl. Keine Bücher werden dort sein, keine Bilder, kein Kram. Ein eBook-Reader und ein Notizbuch werden mir genügen. Etwas Musik vielleicht, von einem MP3-Player (in erster Linie Bach und Purcell). Kräutertee und Schokolade. Ein Blick in die Sonne. Platanen vor den Fenstern. Ab und an eine Notiz. Und auf der Straße des Nachts der eine oder andere Verehrer, der meine Gedichte mit heißerer Stimme intoniert.


Ich habe einmal den Kommunarden Langhans in einer TV-Sendung gesehen. Er saß in seinem Zimmer, und in diesem weißen Zimmer gab es nichts, außer einer Matratze, einer Handvoll Bücher und einem Laptop. Das reicht, mehr braucht es nicht. Da will ich hin.
(Ich muss gleich morgen 2000 Bücher verschenken).

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1 Kommentar:

  1. huch, eben verlesen:
    "Ich habe einen St(r)eifen mit Tabletten .... "

    auweia,
    aber danke für den Lacher nach einem doofen Tag

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