Mittwoch, 30. März 2016



Kopfschlächter

Der Kopfschlächter lebt in dem dunklen Wald
in einer feuchten Mulde liegt er nachts
und träumt von Wüstungen der Vorzeit

Zwischen den Dörfern ist Verheerung
Die Schweine quieken in den Koben
Der Kopfschlächter geht nach dem Frühstück
das aus dunklen Beeren ist, in die Fabrik

Er sticht die Sauen ab, die Ferkel auch
er schlitzt die Bäuche auf, weil Überstunden sind
und zieht die Teratome raus
die Hautsäcke mit Haaren, Zähnen, Pseudohirnen

Der Kopfschlächter stapft auf den Kacheln
durch kaltes Blut zum Kaffeeautomat
darin sind dunkle Träume eingeschlossen




Samstag, 26. März 2016


" [...] und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem nach 1949 zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil".

Ich habe ja auch einen Migrationshintergrund. Einen unsichtbaren. Doch mit zunehmendem Alter fange ich an ihn ernst zu nehmen. Muss nicht mehr innerlich lachen, nur noch lächeln, wenn ich über meine Lage in der Fremde nachdenke.

Meine Mutter übersiedelte 1963, als Zwanzigjährige und kaum Deutsch sprechend, von Den Haag kommend nach Lüneburg, Niedersachsen, wo ich sieben Jahre später geboren wurde.
Sie hatte dort ein Engagement am Ballett des Stadttheaters bekommen.
Sie war anders als die Deutschen, die Deutschen waren Nazis und grobe Schlachtergesellen, sie war eine Waldelfe von der Waldorfschule (die sie in den 40er und 50er Jahren in Den Haag besucht hatte, was sie um so fremder werden ließ, im Lande Adenauers und Erhards).

Da mein Vater späterhin die meiste Zeit Anstellungen an Theatern anderer Städte hatte, die Familie aber, bis ich neun Jahre alt war, in Lüneburg wohnen blieb (in einer winzigen, dämmrigen Wohnung, in einem 500 Jahre alten Haus), zog sie mich die meiste Zeit alleine groß. Und sprach mit schwerem Akzent, machte grammatikalische Fehler, die ich heute selbst noch mache; bei jeder M- oder N-Endung muss ich kurz in mich gehen, mich konzentrieren, um mich für den korrekten Form zu entscheiden. Weet je wel?

In unserer Familie wurde warm zu Abend gegessen, nicht am Mittag, so wie es all die Familien der Freunde hielten, und es gab indonesisches Essen, als die Freunde dieses Land noch nicht mal auf dem Globus fanden. Und wenn wir erst bei dem (angeheirateten) halbindonesischen Onkel zur Reistafel eingeladen waren; die deutschen Wirsingköpfe der 70er Jahren machten sich keine Vorstellung, wie scharf Gerichte sein konnten.

Lakritz, Pfefferminz, Erdnussbutter, echter Käse. Reiskräcker, englisches Teegebäck, Fla, Patatje Oorlog. All das sind mir Kindheitserinnerungen. Mit Schweinshackse und Mettigel habe ich nichts zu schaffen.
Doch das waren nur Äußerlichkeiten. Was mein Selbst viel mehr prägte waren die holländischen Kinderbücher, die mir meine Mutter jeden Abend vorlas (Paulus de Boskabouter!) und der scharfe Verstand meines Großvaters, einem germanophilen Intellektuellen, der die Heirat meiner Eltern in einer Zeit ermöglicht hatte, als einen Deutschen zu heiraten in Holland noch als Landesverrat galt.

Die Abgeklärtheit und weltfraulichkeit meiner Kette rauchenden Großmutter (britische Zigaretten), die gerne Mahjong spielte und ihr Frühstücksbrot mit Messer und Gabel aß.
Das Goldene Zeitalter der Barockmalerei, das Licht der Aufklärung, dass sich viel besser in jenem Land gehalten hatte, als in diesem Deutschland, in dem die Wikingjugend Sonnenwendfeuer abhielt, in dem die Kriegsveteranen mit abgeschossenen Armen durch die enge Fußgängerzone zockelten.

Aber meinen Vater, dem Hamburger, dem Schauspieler, dem Hallodri, dem sollte ich ähnlich sehen, mit dem wurde ich gleichgesetzt. Dabei war ich innerlich doch auch eine verloren gegangene Waldelfe aus den Dünenwäldern von Scheveningen.

Ich bin, das wird mir erst spät bewusst, viel mehr wie meine Mutter. Ein Teil von mir lebt in Den Haag, an der Küste, im Licht der Straßen, im Licht der Passagen. Nahe dem Grab meiner Großeltern, nahe dem Grab meiner Mutter.



Montag, 14. März 2016


Sekunde

Der Moment in dem das Erstaunen sich zeigt
in dem Gesicht eines Mannes in Deckung
Sekundenfern der Triumph der eigenen Größe
weggewischt von der schnelleren Kugel
Eintrittsloch klein / Austrittswunde kaum
zu sehen aus dieser Perspektive
in diesem jetzt schon toten Gesicht
Der Mann (Mudschahed könnte man sagen)
mit dem Sniper-Gewehr verblüfft über
die Präzission des fernen Gegners
Schneller in seinem Gesicht die Verblüffung
Sekundenfern sein eigenes Leben / und wenig Blut





Samstag, 12. März 2016


Gespenst

Wie er als schwarzes Gespenst
aus dem Panzerloch kriecht
über die glühende Flanke rollt
und in den brennenden Diesel fällt
Hinter ihm Flammensäule aus
der Einstiegsluke des Gefährts
Stillgelegt ein Monument
ein Block aus geborstenem Stahl
mit dem Kanonenrohr vorne
nutzloses Ornament gerichtet
in die Deckung der Panzerfaust

Wie das Gespenst sich sachte
aus den Flammen erhebt und schwankt
schwarze Haut in Blasen
und vorsichtig wandelt zwischen
den Trümmern der Stadt
Ein Hauch noch von Leben dort
nicht hier reckt es still seine Hände