Freitag, 2. März 2012

Gerade las ich in der Morgenpost – die ich ab und an aus der Altstofftonne stehle – das ein deutscher Zahnarzt ins All fliegen wird. Im Jahr 2014 will das sich in Gründung befindende Raumfahrtunternehmen Space Expedition Curaçao den 39jährigen für knapp 70.000 Euro in den Weltenraum schießen.
O Gott, meine Kindheitsträume, sie werden alle wahr. Ich muss nur noch ein Buch richtig gut verkaufen, dann kann ich in die Leere, ausspannen bei Null Grad Kelvin. Ich erinnere mich, wie ich um 1980 auf dem – von meinem, nun auch schon seit sechs Jahren toten, Vater gezimmerten – Hochbett lag und SciFi-Romane aus der schwarzen Heyne-Taschenbuch-Reihe las. Der Mond war da zwar schon (vermutlich) erobert, Sternenstaub war zurück auf die Erde gebracht worden, aber das Spaceshuttle noch nicht abgestürzt, alle Hoffnungen nicht zu einem Feuer- und Trümmerregen geworden. Alles war strahlendes Sternenfahrer-Pathos, Science Fiction eben. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, dass ich irgendwann Passagier in einer Rakete sein könnte, Tourist im Kosmos, ich konnte mir nicht einmal vorstellen, dass ich das Jahr 2001 erleben würde, das Jahr von HAL 9000.
Und jetzt kostet das Ticket nicht einmal mehr den Gegenwert einer Doppelhaushälfte. Nur ein populäres Buch, Voß, nur eins, und du wirst in der Unendlichkeit schweben dürfen. Wirst auf den grünblauen Ball blicken, auf seinen Schimmelüberzug. Und dahinter das absolute Schwarz, ein Schwarz, wie du es nicht in deinen besten Gedichten beschreiben konntest. Und diese Vorstellung, ein Gedicht schreiben zu können über dieses Schwarz, das erste Weltraum-Gedicht der Menschheit, das aus einem realen Erfahrungsschatz schöpft, das wäre ein Triumph. (Hört sich das Größenwahnsinnig an? Egal.)
Und in deiner Kindergartentasche – die aus gelb lackiertem Leder – wirst du ein Pausenbrot haben und ein Netbook, das nur 99 Euro gekostet hat, das aber mehr Rechenleistung als der Bordcomputer der ersten Apollomission hat.

Vor einigen Wochen sah ich das Sequel des Kubrick-Films: „2011 – Das Jahr in dem wir Kontakt aufnehmen“. Und auch das haben wir schon hinter uns, das Jahr 2011, wenn auch nicht den Kontakt, kein mattschwarzer Monolith am Himmel, soweit ich weiß auch nicht in der Umlaufbahn von Jupiter. Keine Außerirdischen, nirgends, nie. Kein Signal. Schade.
Ich hätte so brennende Fragen zu stellen: Habt ihr Religionen, vielleicht gar nur eine einzige? Habt ihr einen Freien Willen, und wie ist es euch gelungen, den zu beweisen? Welche Musik hört ihr, und wenn ja welche, und hört sie sich an wie von Johann Sebastian Bach? Oder eher wie von Thomas Tallis?

Science Fiction all überall im All, und gleichwohl auf der Erden. Weltraumfahrten und Internet (und YouPorn). Und alle diese Zukunftsbewohner (die wir sind) leben noch immer in brüchigen Altbauwohnungen, haben keine oder schlecht bezahlte Jobs, tragen noch immer Kleidung, die aussieht wie aus dem Jahre 1984, kaufen noch immer bei Aldi, Penny und Lidl ein. Nur Netto ist neu.

(Und 1984 hieß Erika Mustermann noch „Renate“, geboren am 5. August 1958 in Bonn.)



Neben dem Raumfahrer-Artikel im Vermischten war die Schweinebauch-Anzeige eines Supermarkts abgedruckt: Ein Kilo Kiwis – 88 Cent.
Ich erinnere mich, am Ende meiner Kindheit aß ich meine erste Kiwi, (das erste Spaceshuttle mit Namen „Explorer“ war gerade gestartet), eine exotische Delikatesse. Meine Mutter (auch schon fünf Jahre tot) hatte zwei Stück, ich glaube, bei Penny gekauft, eine für meinen Bruder, eine für mich. Und jede einzelne hatte eine Mark gekostet. Sie schmeckte mir nicht besonders, aber ich kann mich noch gut an die Exklusivität dieser Frucht erinnern.
Berry, Milka Krokant, Milka Mandelsplitter, Rolo, Raider, Treets – wo seit ihr geblieben, seid ich in die Zukunft verschwand?

Ich habe einmal gelesen – vielleicht sogar in der phantastischen, aber deswegen schnell wieder eingestellten Zeitschrift OMNI – das die Astronauten, die Kosmonauten (und jetzt wohl auch die Taikonauten) davon berichteten, dass die seelenerschütternste Erfahrung die man machen kann, ein Aufenthalt im All ist, das Schweben außerhalb des Mutterleibs der Raumkapsel, das Schweben im Nichts; ein Mensch, der man selbst ist, umgeben von dieser Schwärze, von der wortbezwingenden Weite, die von allen n-zähligen Himmelsrichtungen auf einen einstürzt.

Und unter dir, nein, über dir, und neben dir, diese blau leuchtende Frucht im Sonnensystem, 88 Cent beim Hyperraum-Markt gleich um die Ecke. Das Band der Milchstraße eine glitzernde Auslage vor dem Tante-Emma-Laden Gottes.

70.000 Euro, Leute – klickt den Link rechts neben diesem Text an und kauft mein neues Buch, es müssen nur noch rund 69.000 Exemplare verkauft werden, dann kann ich mir das Ticket leisten. Das wird doch nicht so schwierig sein... .. .


(Und dazu „Cleopatra dreams on“ von Jeffrey Lee Pierce – auch schon lange tot. Und ich bin immer erkältet.)

(Mein Sohn wird dann sicher zu den Sternen reisen – Tristan, Ritter der Oortschen Wolke.)


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Von der Morgenpost gesprochen, vom Hauptstadt-Feuilleton gesprochen: unglaublich, in welch altbackenem Stil dort geschrieben wird. Fortwährend mit so ´nem Augenzwinkern (zwinker, zwinker), dass sich dem Leser bräsig an den Hals und die aus Salzteig gebackenen Gehirnwindungen wirft: Mein lieber, guter Leser, du verzeihst mir doch, dass ich keinen blassen Schimmer von der Materie habe, weil: wir verstehen uns auch so, in unserer minderbemittelten Rührseeligkeit.
Da hat die Rezensentin Gabriela Walde eine Künstlerin wiederentdeckt: Dodo, eine Zeichnerin der 20er und 30er Jahren, neusachlich, wie Frau Walde meint, dann nach England emigriert, wo sie unter anderem Postkarten entwarf. Aber wäre sie in der Hauptstadt der goldenen Zwanziger geblieben, hätte ihr die Regenbogen-Brücke zum künstlerischen Zenit offen gestanden, meint Frau Walde.
Auf der illustrierenden Abbildung sehe ich eine Frau und einen Mann, in abwehrender Umarmung. Dieses gezeichnet, wie für eine nette Zeitschrift der modernen Frau (aber mit großer Mühe, die Felsspalten der Liebe zu ergründen), ein zeichnerischer Abglanz von mondänem Stilwillen, ein Abklatsch Jeanne Mammens (die ja auch nur ein Abklatsch Hubbuchs und Schlichters war – oder tue ich ihr Unrecht?) – und das wird zur Zeit in der Kunstbibliothek am Kulturforum ausgestellt. – Woher kommt dieser Wille zum Mittelmaß in dieser Hauptstadt. Es gäbe so viel Gutes wieder zu entdecken. Stattdessen: leicht depressive Modezeichnerinnen.

(Ich werde mir die Ausstellung anschauen, und sollte ich Unrecht haben, werde ich Abbitte leisten.)

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