Freitag, 22. Juni 2012

Sommeranfang – selten in so grauen Tagen fest gehangen und dem Herbst entgegen gefiebert. Jetzt für 399 D-Mark nach Mallorca fliegen. Nach Port de Soller. Das wäre schön, das würde mir diesen hässlichen Sommer versüßen, diesen Sommer der schlechten Nachrichten, diesen Sommer ohne Treibstoff.

Vielleicht aber wäre ich ja auch fett geworden und würde einen Stone-Washed-Anzug tragen (hellgrün) mit dicken Schulterpolstern. Denn die Mode hat sich wenig verändert seit 1985. Keinerlei neue Impulse hier im Westen, in den letzten 27 Jahren. Die Frauen tragen noch immer Wildlederstiefeletten und asymetrisch geschnittene Jacken mit Applikationen.
Aber es ist nicht alles schlecht im Jahr des Herrn 2012, man kann mittlerweile sogar die Laptops bezahlen. Mein neuestes von Sinclair hat nur 2399 DM gekostet (ich hab es mit den Resten der ersparten Berlin-Zulage gekauft), und es hat ein integriertes Modem. Das wollte ich schon lange haben, denn seit vorletztem Jahr gibt es Internet auch für Privatpersonen. Die Telekom legt ja schon seit 2010 Anschlüsse für schlappe 199 DM. Und die Minute Internet kostet gerade mal 39 Pfennig. Demnächst werde ich dann wohl meine erste E-mail schreiben, an meinen Freund Mark, der im Rechenzentrum der FU arbeitet (in der Fakultät für Konfliktforschung).
Die Welt hängt derweil durchgehend am Abgrund, nachdem dieser unangenehme Stellvertreter-Krieg zwischen Pakistan und Indien stattgefunden hat, sie verharrt, diese Welt, seit zwei Jahrzehnten, und niemand regt sich, alle leben so vor sich hin und belauern die Gegenseite.
Falls sie sich nicht mehr erinnern können, oder noch zu jung sind, den großen Indischen Krieg erlebt zu haben, hier ein paar Eckdaten:
Nachdem der sowjetische Staats- und Parteichef Andropow gestorben war, wurde Andrej Gromyko neuer Generalsekretär – er hatte sich gegen einen noch unbekannten Herausforderer, einen gewissen Gorbatschow, durchgesetzt – und mit seiner Ernennung wurde der Kalte Krieg so eiskalt, das der vorherige Kalte Krieg im Rückblick geradezu frühlingshafte wirkte. Die UDSSR intensivierte ihren Krieg in Afghanistan, und die USA intensivierte ihre Unterstützung der Taliban. Die Russen zogen sich vorläufig 1988 aus dem verwüsteten Land zurück, und die Taliban marschierten wenig später in Pakistan ein und übernahmen auch dort die Macht. 1990 vereinigten sich beide Länder unter dem Druck der Gotteskrieger, und der neue Staat bekam den Namen Mogulistan und lieferte sich umgehend blutige Grenzscharmützel mit Indien, das mittlerweile von den Sowjets hochgerüstet wurde, unter den Argusaugen Chinas.
Wer genau im April 1991 die schmutzige Bombe im Zentrum Bombays zündete, wird wohl niemals geklärt werden können, aber in Folge kam es zu einem atomaren Schlagabtausch zwischen den beiden Ländern. Insgesamt acht mogulistanische und zwölf indische Mittelstreckenraketen verheerten die Region. Mehr als 25 Millionen Todesopfer waren zu beklagen und unzählige Verwundete.
Nach diesem, nur zwei Tage andauernden, Krieg besetzten die Sowjets erneut den afghanischen Teil Mogulistans und US-Truppen das ehemalige Pakistan. Kaschmir wurde unter UN-Verwaltung gestellt und fungierte als Puffer.
Seither stehen sich die zwei Blöcke nicht nur in Europa, sondern auch auf dem indischen Subkontinent gegenüber.
Die fortwährende Hochrüstung der letzten Jahrzehnte hat zudem alle Wirtschaftskraft der Kontrahenten aufgefressen, sodass es 1994 zu einer massiven Weltwirtschaftkrise kam.
Natürlich geht es uns noch gut hier im Westen, auch wenn seit über zehn Jahren das Benzin rationiert und jeden Sonntag autofrei ist. Es gibt noch immer genug Waren in den Supermärkten; vielleicht ist das Angebot von Luxusartikeln etwas eingeschränkt – aber Tilsiter schmeckt ja ebenfalls, es muss nicht immer französischer Käse sein.
Was mich persönlich am Meisten stört, ist die Abwicklung der zwei privaten Fernsehsender (RTL und SAT 1). Auf den öffentlich-rechtlichen laufen Tag aus, Tag ein die immer gleichen Wiederholungen (Hollywood ist von der Wirtschaftskrise schwer mitgenommen worden), und die Nachrichten vermelden jeden Abend die gleichen Erfolgsmeldungen vom Krieg in Ozeanien.

Vorhin gerade habe ich eine Ansprache des Bundespräsidenten Grass im ZDF gehört – eine Sondersendung, die vor dem Informationsmagazin der Bundeswehr ausgestrahlt wurde – und Grass sprach davon, dass wir den Gürtel noch enger schnallen müssen, weil die neuerlichen Unruhen im Nahen Osten auch Auswirkungen auf unsere Wirtschaft haben könnten.
Seitdem der US-amerikanische Präsident Schwarzenegger – den ich, am Rande erwähnt, noch in seinem letzten Film „Conan“ gesehen habe, und der unlängst seine dritte Amtszeit angetreten hat – seit also Schwarzenegger ein striktes Embargo über Saudi-Arabien verhängte (die islamistische Regierung dort war mehrfach in die israelischen Grenzgebiete einmarschiert, aber von den Truppen Israels immer wieder zurück geschlagen worden), ist der Ölhahn noch weiter zugedreht, und hier in Berlin munkelt man, dass es bald auch einen autofreien Samstag geben soll.
Bundeskanzler Scharping hat zwar keine Mobilmachung ausgerufen, aber den kasernierten Einheiten der Bundeswehr ist jeglicher Ausgang oder gar Urlaub gestrichen worden. Wir werden wohl bald gen Ozeanien marschieren.

Habe ich schon erwähnt, dass sich seit 2004 der Fernseher nicht mehr ausschalten, nur leiser stellen lässt. Und dieser Fernseher, ein Volksprodukt von Siemens, muss in jedem deutschen Haushalt fest in der Wohnzimmerwand installiert sein.
Ah, jetzt gerade senden sie das neue Lied von Dieter Bohlen: „Die Wacht am Hindukusch“.
Eine so schöne Melodie . . .

Bundespräsident Grass mit Generalsekretär Anderson

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