Donnerstag, 5. April 2012

Immerhin, es wird über ein Gedicht gesprochen. Leider über ein schlechtes. Aber wäre die Welt ein besserer Ort, würde die Welt über "Alphabet" von Inger Christensen reden? Vermutlich.
Hier, in meinen Räumen: Stille. Nur ab und an fährt draussen ein Bus vorbei, ein zu schnelles Automobil, ein zu langsamer Vogel, der gegen die einsetzende Kälte anzwitschert.
In der Küche hängt über der Speisekammertür eine Grafik von Grass. "Der Butt", geerbt von meinem Vater, bezahlt von einem Wiederholungshonorar, das er für die Rolle in einem "Tatort" bekam.
Auf dem Blatt ist die Signatur "Günter Grass" fast ebenso groß wie der Fisch. Eitelkeit, unermessliche Eitelkeit, würde ein Graphologe sagen. Aber glaube ich den Graphologen? Denn sie würden auch über meine Schrift urteilen: Eitelkeit, unermessliche Eitelkeit.
Ich habe vor Jahren ein Blatt aus dieser 100ter-Auflage bei ebay entdeckt, der Preis war knapp über 200 Euro, wenn ich mich recht entsinne. Kein großer Wert. Ein Grass. Ich hätte ihn schon längst verkauft, wäre er kein Erbstück. Und würde er mehr einbringen.



Gestern fiel mir auf, wie merkwürdig ich lese. Ich schaue durch die Buchstaben hindurch, wie man durch eine dieser 3-D-Grafiken aus den frühen 90er Jahren hindurch schauen musste, um das Bild zu erkennen. Ich sehe die Buchstaben nicht, aber ich lese sie.
Früher war das anders, da folgte ich den Zeilen mit den Augen, wenn auch nicht mit dem Finger, und ich murmelte auch nicht die Worte beim Lesen, so wie es die Mönche in den Skriptorien taten, vor der Entdeckung der Gutenberg-Galaxis.
Wann hat sich das geändert? War das schon vor Einführung des Internets so? Ich erinnere mich nicht.
Auch sehe ich keine Bilder mehr, wenn ich eine Geschichte lese, vielmehr erzählt mir eine innere Stimme, was dort auf dem Papier steht, aber die Gestalten und Kulissen bleiben schemenhaft. Ins Besondere die Gesichter der Protagonisten wollen sich einfach nicht in meinem Hirn materialisieren. Auch das war früher anders. Ich konnte geradezu herum spazieren in den Büchern von Enid Blyton. Jetzt ist alles nur Schrift und Rede. Herde der Rede...

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