Sonntag, 22. April 2012

Ich höre gerade Peace dragon, das letzte Album der Beatles, das, nach einer Phase der Agonie, im Jahre 1973 auf den Markt geworfen und über zwanzig Millionen Mal weltweit verkauft wurde.
Nachdem sich Lennon und McCartney 1970 – nach einer kreativen Pause – zusammen gerauft hatten (denn ihre Soloalben waren gefloppt) hatten sie zusammen mit George und Ringo ihr bis dato schlechtestes Album veröffentlicht (Going Home, ein müder Aufguss ihrer frühen Erfolge, angefüllt mit zweitklassigen Rock´n´Roll-Songs). Im Frühjahr 1971 trennte sich dann George Harrison von der Gruppe um, wie er sagte, etwas Ruhe in einem Ashram zu finden, und wurde durch Sterling Morrison ersetzt, der vormals bei The Velvet Underground gespielt hatte. Lennon hatte Morrison einige Monate zuvor bei einer Vernisage Andy Warhols in New York City kennen gelernt.
Durch die neue Leadgitarre war der Sound der Beatles düsterer geworden, Peace dragon näherte sich dem an, was man heute als Protopunk oder Proto-New-Wave bezeichnen würde. Lennon verarbeitete in einigen explodierenden Klangcollagen die ambivalente Beziehung zu seiner Mutter, und Sterling Morrison untermalte diese Urschrei-Erfahrung mit einem sägenden, dröhnenden Gitarrensound.
Die Kritiker waren überrascht, das Publikum war es auch, und obwohl sich nur Paul McCartneys Coverversion von Woody Guthries This land is your land in den Charts platzieren konnte, verkaufte sich das Album über die Jahre so gut, dass auch der Rolling Stone es 1983 zu den Hundert wichtigsten LPs der 70er zählte.
Ins Besondere die Lennon/Morrison-Komposition War is in my head wurde in den 80ern oft gecovert, und 1984 landeten Joy Division mit diesem Song ihren größten Hit, was sicherlich an der grandiosen Interpretationskraft Ian Curtis lag.
Doch 1974 zog sich John Lennon aus dem Musikgeschäft zurück - aus seinem Umkreis wurde berichtet, er sei ausgebrannt - und kaufte zusammen mit seiner zweiten Frau Yoko Ono eine Farm in Nevada, wo er nurmehr Gedichte schrieb, die zwar regelmäßig veröffentlicht wurden, sich aber nicht gut verkauften.
1978 dann gab er zusammen mit Paul, George und Ringo ein Reunion-Konzert im Madison Square Garden, an dem auch Sterling Morrison als zweiter Leadgitarrist teilnahm, und bei dem Lou Reed einen Gastauftritt mit Tomorrow never knows hatte.
Auf einer Photographie können wir David Bowie und Iggy Pop im Publikum sehen, die anlässlich des Konzerts extra von Berlin-Schöneberg angereist waren.
1979 gab Lennon bei Stiff Records sein zweites Soloalbum heraus, eine Homage an Brecht/Weill, auf dem auch ein Ausschnitt der Dreigroschenoper zu hören war. Yoko sang die Seeräuberbraut. Danach zog er sich erneut auf seine Farm in Nevada zurück. Dort starb er 1982 an der Kugel eines Attentäters, der so perfide war, sich als bedürftiger Gast aufnehmen zu lassen, und dessen Namen hier nicht genannt werden soll.

Träume. So große Träume. (Seinen ersten Roman publizierte Lennon 1989; die berührende Geschichte der  Ehe seiner Tante Mimi). Träume. Es träumte mir eine andere Welt.
Natürlich höre ich nicht Peace dragon sondern Beatles for sale und Revolver. Bald ist es fünfzig Jahre her, das die Band ihre erste Single rausgebracht hat. Ein halbes Jahrhundert; das macht die Sache noch historischer, als sie es ohnehin die letzten Jahre (seit der Wende) war. Aus längst vergangenen Jugendtagen... aber, halt, da war ich noch nicht einmal geboren. So lange ist das schon her, so lange. Aber der Sound der Konserve: tiptop (dank George Martin).

Ein merkwürdiges Phänomen, dass ich mich wieder so intensiv mit den Beatles beschäftige, ich lese sogar eine neue Biographie über Lennon (von Thomas Göthel – gar nicht mal schlecht), ich höre die alten Platten, die ich mir in den letzten Wochen aus der Bibliothek ausgeliehen und gebrannt habe, denn die Vinylscheiben aus meiner Kindheit und Jugend sind nicht mehr das Wahre. Ich habe mit ihnen – ich erwähnte das schon – zu viel gescratcht in den frühen 80er Jahren.

Ich kann mich erinnern, wie ich zum ersten Mal eigenständig eine Platte auf die elterliche Stereoanlage legte (die teuer bezahlt war mit einer Monatsgage). War es Django Reinhardt? Das Lied mit der Singenden Säge, das ich so liebte, als ich sechs Jahre alt war, oder war es Revolver, auf der ich Taxman immer wieder hören wollte; diese keifende E-Gitarre? Und die Möwen auf Tomorrow never knows, ich liebte sie, als ich ein Kind war (liebe sie noch heute, habe demletzt alle Loops auf youtube gehört, alle Loops befreit von der Musik; diese Geisterklänge, die nackt in der Tonspur standen).

Und ich habe mich selbst gehört.
Tapes meiner ersten Bands, aufgenommen in mit Holz verschalten Proberäumen im Zeitraum 1986 bis 1990. Geisterhafter noch als die Möwen, ist meine Stimme. Ein dünner Junge in der Provinz, der viel vor hat, der viel sein will. Mit einer gar nicht so üblen Stimme. Und mit Zorn. Und mit Melancholie.
All diese Cassetten muss nun ich digitalisieren mit dem merkwürdigen, walkman-artigen Gerät einer Feundin (danke, Barbara). All diese Bänder soll ich digitalisieren? So viel Vergangenheit! Und alles auf den guten BASF-Bändern, die auch nach einem Viertel Jahrhundert keine Drop-outs haben. Die BASF-Cassetten mit den hellbraunen Hüllen. Die kosteten seinerzeit fünf oder sechs Mark pro Stück, das Taschengeld einer ganzen Woche.
Immerhin habe ich investiert, habe keinen Mist für zwei Mark gekauft, kann jetzt die rührenden Versuche, ein Rebell zu sein in der Stereoanlage meines Vaters hören, die letzte Stereoanlage, die er besessen, und die ich ihm gekauft hatte, bei Neckermann, fünf Jahre vor seinem Tod.


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1 Kommentar:

  1. but listen to the colour of your dreams...!

    http://www.youtube.com/watch?v=RkirE9uH5SE

    (deine möwen waren meine indianer)

    lg

    LS

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