Was nicht aufgeschrieben wird, das ist
vergessen.
Die letzten Wochen habe ich kaum
geschrieben, weder am Blog noch an anderen Texten. Und all die
Erlebnisse, die ich jetzt nicht mehr erinnere, die sind in die
Unterwelt meines Selbst abgetaucht. Auch wichtige Ereignisse, wie
die Lesung von Hallinger letzte Woche, werden mehr und mehr zu
Schemen.
Ohnehin eine faszinierende Sache,
was sich einprägt und was nicht. Wenn man sich in einem
unspektakulären Moment des Lebens vornimmt, diesen sich einzuprägen,
funktioniert das sogar. Nachdem ich die Wohnung meiner gestorbenen
Mutter geräumt hatte, vor nunmehr fünf Jahren, fuhr ich zum
ehemaligen Haus meiner Großeltern, stand lange davor und ging dann
zurück zur Straßenbahnhaltestelle. Dort wartete ich, mit Blick
auf die Brücke, die sich über den Stichkanal zur Küste wölbte.
Die Statue auf der Brüstung sah noch immer aus, wie meine Großmutter
in jungen Jahren mit ihren zwei ältesten Töchtern. Das war schon
immer Familienlegende gewesen und hatte sich mir in früher Kindheit
eingeprägt, als ich jeden Sommer an dieser Brücke an der Laan van
Meerdervoort stand. Die Sonne schien fast golden, der Himmel war weit
und holländisch. Und ich prägte mir den Moment ein, dachte kurz
über einen Bioladen nach, der am anderen Ende der Straße aufgemacht
haben sollte – selbst das erinnere ich noch jetzt – schaute die
Gleise entlang. Und seitdem liegt mir diese Szenerie klar vor dem
inneren Auge. An das Gesicht meiner verstorbenen Mutter kann ich mich
schon nicht mehr so gut erinnern. Hätte ich keine Photos, wäre ihr
Antlitz genau nur noch das: ein Antlitz.
Also lasst mich schnell noch über
Hallingers Lesung schreiben (mit dem ich zur Zeit eine Partie Schach
per Email spiele; er hat mal 1850 Elo gehabt – und er wird mich
fertig machen, befürchte ich).
Wir kamen zusammen am vergangenen
Sonntagabend im Wedding. Im Parlandopark lasen eine norwegische
Dichterin und eben Markus Hallinger, dessen Debütband ich unlängst
in der Lyrikediton 2000 herausgegeben habe. Und obwohl ich die
Gedichte fast auswendig kannte, ich hatte sie ja lektoriert,
verblüfften sie mich erneut, faszinierten mich gesprochen noch
einmal mehr.
Gute Gedichte sind das, uneitel und
genau, ganz neben der Spur, auf der die meisten Dichter heutzutage
fahren. Eigen sind sie. Und der Gedichtband heißt auch so: Das
Eigene.
Ich bin sehr froh, dass ich dieses Buch
herausgeben durfte.
Die Lesung war gut besucht; in erster
Linie waren andere Dichter und Dichterinnen gekommen, was ja eine
ähnliche Bedeutung hat, wie vorwiegend asiatisches Publikum in einem
chinesischen Restaurant in Berlin: das Essen muss phantastisch sein.
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Hendrik Jackson |
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Marte Huke, Hendrik Jackson |
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Karla Reimert, Markus Hallinger |
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Steffen Popp, Adrijana Bohocki, Birgit Kreipe |
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Steffen Popp, Adrijana Bohocki, Birgit Kreipe
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Hendrik Jackson, Markus Hallinger |
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Hendrik Jackson, Marte Huke |
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Markus Hallinger |
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Gerade habe ich nach einem Photo der
Statue auf der Brücke gesucht und sie auf der Homepage eines Mannes
gefunden, der 1945 in Den Haag geboren wurde und seine Kindheit um
die Ecke der Laan van Meerdervoort verbracht hat. Da meine Mutter
1943 zur Welt kam und ebenfalls ihre Kindheit in diesem Viertel
verbrachte, auch täglich mit der Tram Nr. 3 von der Brücke abfuhr,
ist es fast schon wahrscheinlich, dass sich die beiden kannten,
zusammen auf der Straße gespielt haben, vielleicht sogar die selbe
Schule besuchten. Auch dieser Mann, Julius Röntgen, schreibt
sehnsüchtig über seine Erinnerung an die Statue. So zentrieren
sich viele Gedanken um dieses Bild eines Sommermorgens, eines
Winternachmittags auf der Brücke, auf der auch ich so oft stand, mit
Blick auf die steinerne Mutter mit ihren zwei steinernen Kindern.
Das Internet ist eine Art von Noosphäre
geworden, ein Nullpunktfeld, in dem sich alle personengebundenen
Neuronen vereinen. Es ist eigentlich der konkrete Himmel geworden,
ein Jenseits aus Nullen und Einsen.
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Conradbrug (Photo: Julius Röntgen) |
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Dirk Wolbers: "Veilig in 't verkeer", 1937 |
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Meine Mutter, im Alter meines Sohnes |
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