Dienstag, 16. Oktober 2012

Nervös war ich den ganzen Tag schon, alles zentrierte sich in meiner Lunge und ließ sie keuchen. Eine Steckfigur aus Nervensträngen war ich. Blödes Mini-Steck in vielen Farben. Kinderkrankheiten durchfuhren meinen Körper. Schwer ausgelacht war ich von meinen Innereien. Also war dieser Tag zusammengefaltet und als schranktrockene Wäsche in die Kammer gestellt. Und hoppla, hier sitz ich, zentriert in der Kammer mit einem Herz, das Annoncen über seine Misere in den zahnpasta-geschrubbten Himmel setzt. Da fliegt es vorbei. Ich muss meine Brille aufsetzen um lesen zu können, was dort durch meinen Liquor flattert.
Ruhig, Pferd, ruhig, das Ende das Tages ist schon längst erreicht. Und dort (dort, genau dort, ach) war ich zuvor: im Autorenforum Berlin. Und die Madeleines wurden in meinen Kopf getunkt. Verzeihung, noch etwas Tee, Herr Voß? (Nein, lieber Codein).
Hätten meine nervösen Zustände mich nicht aus dem Haus getrieben, wäre ich nicht in dieser Erinnerung angekommen; aber lasst uns vom Beginn an beginnen, Brüder und Schwestern (Sisters & Brothers, ihr seit doch seid Jahren, Jahren, Jahren mir in den Nacken festgeklammert).
Um acht Uhr fand ich mich ein im Autorenforum in Steglitz und hörte mir auf dieser offenen Lesebühne zwei Texte an. Und saß danach am Kneipentisch mit Henry Kersting und Rainer Schildberger, die kaum älter geworden zu sein schienen. Und ich verwechselte die Jahrzehnte ohne betrunken zu sein.
Aber dann, aber dann hatte ich es wieder im – nennen wir es – Gedächtnis. 1993 kam ich zum ersten Mal ins Autorenforum, das seinerzeit noch im Schauplatz in der Dieffenbachstraße residierte, einem runtergerockten Off-Off-Theater im übrig gebliebenen West-Berlin. Endlich war ich in der Kunst angekommen. Relativ frisch aus der Provinz in die kommende Weltstadt geschossen war ich, Kreuzberg würde mindestens der Nabel der Welt sein, und im Autorenforum hingen Schriftsteller rum, echte Schriftsteller, unbekannt zwar noch, aber mit großen Gesten, die von kleinen Händen ausgeführt wurden. Ich hatte rosafarbene Haare und sechs Ringe im linken Ohr (zwei im rechten), ich war heiß auf Boheme. Judith Herrmann las dort, Felicitas Hoppe, Ursula … (wie war doch gleich der Nachnahme?) ... und ich. Ich scheiterte. Aber das war nicht schlimm, das war lehrreich. Noch heute ist mir der Schweiß in Erinnerung, der mir in einer Sommernacht an den Flanken entlang tropfte, als ich eine unsäglich kitschige Short Storie über den spanischen Bürgerkrieg vortrug. Mit Emphase, mit schlimmer Überzeugung. Mit dem Gefühl im Boden zu versinken, je mehr Zeilen ich hervor stammelte.
Das war vor der Zeit von lauter niemand, das war vor der Zeit, bevor ich gerade Zeilen schrieb. Und jetzt ist es Steglitz geworden, und ich Friedenau. Alte Bohemiens und reguläre Lesungen auf offenen Bühnen.
Ich habe dort viel gelernt, und ich komme von Zeit zu Zeit gerne dorthin zurück (Vorspiel im Himmel; call me F.A.U.S.T... or call me U.N.C.L.E). Ich höre zu und fühle mich jung und alt. Aber wenn ich meinem Sohn davon erzählen wollen würde, in Zeiten die noch vor mir liegen, dann wäre mir das Gehirn so konfiguriert, dass ich kaum mehr heraus bekommen würde, als in diesem Eintrag eingetragen ist. Stuss auf mittlerem Niveau. Hoch wird es dann die Nachwelt schätzen. Wenn sie es findet. Aber nichz dauert an, alles ist eitel. S.E.L.A. - Psalmenende (Benn-de).

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1 Kommentar:

  1. Naja, ob ich jetzt Borderlinerin, depressiv und magsersüchtig bin, glaube ich jetzt nicht grade.. Okay, ja ich bin in einigen Teilen etwas anders und vielleicht 'geknickter' als ander ein meinem Alter, aber Borderline ? Borderline.. es ist unmöglich, dass ich das haben kann..

    Aber dennoch Danke für den "Tip" - das weiß ich sher zu schätzen.

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