Eigentlich war der
Zeitraum zwischen 1918 und 1958 ein einziger geschichtlicher
Abschnitt, das Zeitalter des Jazz – auch wenn in Deutschland die
Zäsuren von '33 und '45 natürlich stärker wirken, stärker gewirkt
haben. Vor allem in der Dichtkunst ist, neben der Musik, dieser
Halbjahrhundertstil zum Beispiel im Werk Gottfried Benns gut zu
erkennen (aber nicht nur dort). Dann brach das Zeitalter des Pop an,
des Beat in Musik und Lyrik.
Und hier wird es
interessant; Benn steht mit Teilen seines Spätwerks genau im
Übergang zum neuen Stil (zu Phase II, wie er es bezeichnet hat), man
liest zum Beispiel:
[…] Vom Nebentisch hört man
oft: „Wir Grossisten“, […]
„Dreizehn Mark fünfzig als
Monatsrate“:
Die ganze Welt ist voll von
solchen Worten.
Demgegenüber die Inkassos des
Himmels,
verderblich vielleicht, in
gewissem Sinne sträflich,
aber man lag herum, abgeschabt,
Ausverkauf, richtiger Verschleiß
und nun für vierhundert Mark
Quaderrisse
Felsensprengungen […]
Das ist zwar nicht
von Thematik und Metaphorik, aber ganz von der Schreibhaltung her
schon Rolf Dieter Brinkmann verwandt. Benn ist auch hier, etwas mehr
als ein Jahr vor seinem Tod, ein echter Erneuerer.
So wie er 1912 mit
Morgue die literarische Bühne betritt, so verlässt er sie
wieder mit diesen Gedichten in freiem Vers, die ebenso revolutionär
sind wie erstere, die aber lange nicht so auffallen, weil sie nicht
in einem Zyklus gebündelt erschienen.
Wie ich Benns
Gedichte immer schon geliebt habe. Kommt mir vor, als würde ich sie
lesen, seit ich überhaupt lesen kann. In Wirklichkeit habe ich sie
erst mit dreizehn oder vierzehn Jahren kennengelernt, als ich mich
begann, ernsthaft für Lyrik zu interessieren. Allerdings ist Benn
einer der wenigen Dichter geblieben, den ich in allen Phasen meines
bisherigen Lebens gerne gelesen habe, denn sein Werk ist so breit
gefächert, stilistisch alle Zeit geeignet.
Und nachdem ich
gestern noch einmal das einzige Fernsehinterview mit ihm gesehen
habe, weiß ich auch wieder, warum mir der Mann immer so sympathisch
war: unprätentiös ist er, ein Genie, das es nicht nötig hat
aufzutrumpfen. Angenehm auch seine Stimme, ruhig und in sich gekehrt,
ohne dieses, für die fünfziger Jahre noch typische, Schnarren in
der Stimme, ganz und gar kein preußischer Offizier; obschon er ja
genau solch einer gewesen war.
Ein Weltbürger in
Westberlin. Denn um ein Mann von Welt zu sein, muss man nicht die
Länder bereist haben, sondern die Gehirnwindungen und Nervenstränge.
Und er hatte eine
mir angenehme Haltung dem Publikum gegenüber:
[…] ich bin nicht populär und
wünsche nicht es zu sein. Ich halte das Publikum für Pöbel und
Ruhm für eine Schiebung. Beides steht mir gleich fern […]
Dichten bis der Doktor kommt |
Dolles Leben,
famoser Dichter, dieser Gottfried Benn.
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