Montag, 21. Januar 2013

Eigentlich war der Zeitraum zwischen 1918 und 1958 ein einziger geschichtlicher Abschnitt, das Zeitalter des Jazz – auch wenn in Deutschland die Zäsuren von '33 und '45 natürlich stärker wirken, stärker gewirkt haben. Vor allem in der Dichtkunst ist, neben der Musik, dieser Halbjahrhundertstil zum Beispiel im Werk Gottfried Benns gut zu erkennen (aber nicht nur dort). Dann brach das Zeitalter des Pop an, des Beat in Musik und Lyrik.
Und hier wird es interessant; Benn steht mit Teilen seines Spätwerks genau im Übergang zum neuen Stil (zu Phase II, wie er es bezeichnet hat), man liest zum Beispiel:

     […] Vom Nebentisch hört man oft: „Wir Grossisten“, […]
     „Dreizehn Mark fünfzig als Monatsrate“:
     Die ganze Welt ist voll von solchen Worten.
     Demgegenüber die Inkassos des Himmels,
     verderblich vielleicht, in gewissem Sinne sträflich,
     aber man lag herum, abgeschabt, Ausverkauf, richtiger Verschleiß
   
     und nun für vierhundert Mark
     Quaderrisse
     Felsensprengungen […]

Das ist zwar nicht von Thematik und Metaphorik, aber ganz von der Schreibhaltung her schon Rolf Dieter Brinkmann verwandt. Benn ist auch hier, etwas mehr als ein Jahr vor seinem Tod, ein echter Erneuerer.
So wie er 1912 mit Morgue die literarische Bühne betritt, so verlässt er sie wieder mit diesen Gedichten in freiem Vers, die ebenso revolutionär sind wie erstere, die aber lange nicht so auffallen, weil sie nicht in einem Zyklus gebündelt erschienen.

Wie ich Benns Gedichte immer schon geliebt habe. Kommt mir vor, als würde ich sie lesen, seit ich überhaupt lesen kann. In Wirklichkeit habe ich sie erst mit dreizehn oder vierzehn Jahren kennengelernt, als ich mich begann, ernsthaft für Lyrik zu interessieren. Allerdings ist Benn einer der wenigen Dichter geblieben, den ich in allen Phasen meines bisherigen Lebens gerne gelesen habe, denn sein Werk ist so breit gefächert, stilistisch alle Zeit geeignet.
Und nachdem ich gestern noch einmal das einzige Fernsehinterview mit ihm gesehen habe, weiß ich auch wieder, warum mir der Mann immer so sympathisch war: unprätentiös ist er, ein Genie, das es nicht nötig hat aufzutrumpfen. Angenehm auch seine Stimme, ruhig und in sich gekehrt, ohne dieses, für die fünfziger Jahre noch typische, Schnarren in der Stimme, ganz und gar kein preußischer Offizier; obschon er ja genau solch einer gewesen war.
Ein Weltbürger in Westberlin. Denn um ein Mann von Welt zu sein, muss man nicht die Länder bereist haben, sondern die Gehirnwindungen und Nervenstränge.


Und er hatte eine mir angenehme Haltung dem Publikum gegenüber:
[…] ich bin nicht populär und wünsche nicht es zu sein. Ich halte das Publikum für Pöbel und Ruhm für eine Schiebung. Beides steht mir gleich fern […]

Dichten bis der Doktor kommt

Dolles Leben, famoser Dichter, dieser Gottfried Benn.

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