(Samstag, 8. Dezember 2012, auf dem Weg
in die Provinz Baiern)
Auf der Fahrt in Richtung Jena/Paradies
schaue ich in die Landschaft, in den Schnee, der sich die letzten
Tage über das ganze Land gelegt hat. In den weißen Wäldern könnte
man graue, ausgemagerte Wölfe vermuten, in den Schlössern und
Herrenhäusern links und rechts der Gleise werden wohl Ritter und
bleichhäutige, blutleere Adlige wohnen.
Ein Märchenland wäre das, wenn nur
nicht all die Shopping-Malls und Fabrikhallen sich ins Bild schieben
würden.
Im Großraumwagen kaum Passagiere, und
der Schaffner erinnert mich an irgendwen, doch im Erinnerungsspeicher
ist kein Zwilling für ihn verzeichnet.
Die Fahrt geht weiter durch den
Thüringer Wald, durch enge, mit Schatten geflutete Täler, weiter
über die Prärie der fränkischen Landstriche, bis hin zur
Hauptstadt mit Herz, Hauptstadt mit aufgeblähten Herzbeuteln.
Schnee |
Im Wald da sind die Wölfe |
Herrenhaus |
Das Schloss |
Im Wald da sind die Dohlen |
Kurz nach drei Uhr betrete ich leise
den Saal des Einstein-Kulturzentrums, des sich in den alten
Gewölbekellern einer ehemaligen Brauerei befindet; all die sonnigen
Winterlandschaften, an denen ich die letzten Stunden vorbei gefahren
bin, liegen weit hinter mir, denn hier bin ich nun in einem Bunker
ohne Mobilfunk-Netz.
Vorne an der Bühne steht Wolfram Malte
Fues und diskutiert mit dem spärlichen Publikum über die
verschiedenen Möglichkeiten der Lyrik in dieser Zeit, bezieht sich
auf Schiller und schaut aus wie Jean Marais, kurz bevor er sich die
Maske des Fantomas überstreift. Er hat zweifelsohne Charisma, aber
er hat auch zweifelsohne wenig Zuhörer (leider, denn er scheint klug
zu sein und hat etwas zu vermitteln). Nicht anders wird es in den
folgenden Veranstaltungen der Haidhauser Büchertage sein.
Mitten in einer Millionenstadt verirren sich zu jeder Lesung kaum
mehr als ein Dutzend Interessierte. Warum das so ist? Ihr fragt
besser nicht.
Am frühen Abend gehe ich zurück zum
Bahnhof, um nach Frauenried zu fahren, ein winziges Dorf, in dem der
Hallinger Markus mit seiner Frau und den fünf Kindern lebt. (Naja,
drei sind schon ausgezogen).
Der Dichter wohnt in einem Pfarrhaus,
das abseits der anderen Höfe, selbst abseits der Kirche liegt,
hinter tiefem Schnee, vor dunklen Tannen. Die Leute im Dorf reden
über ihn. Er schreibt über die Leute vom Dorf.
Doch zuvor geht es auf eine Lesung im
Nachbarort Weyarn, eine kleine Gruppe von Häusern, die sich um ein
übermächtiges Kloster der Deutschritter ducken. In der Dunkelheit
der matt glänzenden Nacht meine ich in einem anderen Jahrhundert
gelandet zu sein. Ständen keine parkenden Autos vor der kleinen
Dorfbücherei, die sich in einem Raum des Ordens befindet, würde ich
beim Rauchen vor der Tür auf den Landauer warten, gezogen von zwei
falben Schimmeln, der mich zum König bringt. (Versonnen streiche ich
mir über den aufgezwirbelten Schnurrbart).
Weyarn |
Weyarn, Klosterkirche |
Durchgang zum Kloster |
Die Lesung von Hallinger und dem
Schriftsteller Helmfried von Lüttichau ist verblüffend gut besucht,
mehr als zwanzig Leute drängen sich in dem kleinen Raum. Ein
Gitarrenduo spielt, die Männer lesen Gedichte, die Bibliothekarin
schenkt Wein aus und lacht.
Danach Schweineschnitzel, die als
Schweinemedallions verkauft werden, in der hässlichsten Pizzeria
diesseits des Atlantiks. Putti mit Weihnachtsgirlanden, angetrunkene
Dorfjugend, Kulturschock.
Markus Hallinger, Helmfried von Lüttichau |
Julietta Fix, Helmfried von Lüttichau |
Später im Pfarrhaus des Dichters noch
einige Zigaretten und große Gläser mit Kräuterlikör. Während
Markus seine Gedrehten in sich reinzieht, dampfe ich meine
E-Zigarette, die ich mir zwar schon vor acht Monaten gekauft habe,
die ich aber erst seit einigen Wochen regelmäßig benutze. Nunmehr
bekomme ich wieder Luft, aber ganz leicht fällt es mir trotzdem
nicht, auf verbranntes, hoch aggressives Nikotin zu verzichten. Denn
wenn eine Zigarette des Äquivalent zu Heroin wäre, könnte man das
Liquid der E-Zigarette als Methadon bezeichnen. Es hält mich
friedlich, aber manchmal befriedigt es nicht vollständig, der letzte
Kick fehlt.
Das Hallinger Haus |
Am nächsten Morgen (9. Dezember 2012,
noch immer in der Provinz Baiern) früh aus den Betten, große Stücke
Wurst frühstücken, und dann ab in die Landeshauptstadt zurück.
Meine Lesung um 12 Uhr noch schlechter
besucht, als der Vortrag von Professor Fues, aber von den wenigen
Leuten – fast alles Schriftsteller – beglückwünschen mich
anschließend die Hälfte.
Auch die Lesung von Markus zuvor ein
Erfolg, ebenso der ungeplante Auftritt von Frank Schmitter.
Am Nachmittag dann ein Podiumsgespräch
zur aktuellen Situation der Lyriker (verarmt und ausgebuht) zusammen
mit Markus, Johannes Frank und Bertram Reinicke. Schnell kommt das
Thema auf Schreibschulen, und ob man dort das Dichten lernen könne.
Eher nicht.
Auch dieses mal kaum Zuhörer. O,
München, Hauptstadt der Bildungsbürger scheinst du nicht zu sein.
Oder sind alle im Schnee stecken geblieben? Oder wollen sie mich
einfach nicht hören?
Publikum |
Noch ein kurzes Gespräch mit Johannes,
der wenig später zum Flughafen muss, um zurück nach Berlin zu
fliegen, der viel früher in der Heimat ankommen wird als ich, was
ich ihm ein bisschen neide. Dann eine Gulaschsuppe zu fünf Euro,
schließlich zur U-Bahn-Station. Wenig später stapfe ich durch eine
aufgegebene Schalterhalle des Münchener Hauptbahnhofs und besteige
den ICE.
Regional-Bahnhofshalle, München |
In der Helle des Bahnhofs wirbeln
Schneewolken aus den Deckenstrahlern. Die Verlassenheit des Reisens
an einem Winterabend. Richtung Jena/Paradies, wie es neonrot am
Waggonhimmel leuchtet. Die gelassene Verlassenheit des Reisens. In
solch Stimmung von Weltschmerz möchte man zwei Sitze weiter nicht
die graue, warme Unterwäsche einer mitteldicken Frau sehen, die sich
nach Vorne beugt und nach einem Snack angelt.
Abfahrt des Zuges. Eine Stunde später
erreicht mich eine SMS von Johannes, dass sein Flug ob des Wetters
gestrichen worden sei, und er nun in dieser Stadt festhängen würde.
Ach, wie schön kann Bahn fahren sein.
Paradies |
.
Wär gern dabei gewesen, war aber meinerseits in Berlin... Die Lesereihe, die ich mit Walter Fabian Schmid organisiere, ist übrigens auch im Einstein angesiedelt. Letztes Mal waren an die 70 Leute da. Man muss die Hoffnung auch hier dann nicht verlieren, wenn man alles selbst macht. Geht schon was.
AntwortenLöschenNa, das gibt mir wieder Höffnung für München.
AntwortenLöschenNa, ob sich das nun so einfach der "Provinz Baiern" (wo ist die denn?) oder aber den Münchner (Nicht-)Bildungsbürgern in die Schuhe schieben lässt? Oder gar der mangelnden Werbegtrommel seitens der Veranstalter? Da wäre ich zögerlicher. Vielleicht liegt es ja ganz einfach auch ein wenig an der Kultur(über)sättigung in Metropolen, sprich am Überangebot? An mangelnder Werbung für Büchertage und Florian Voß seitens der Betreiber lag es jedenfalls nicht. Da habe ich ja doch die ganzen Anstrenungen mitbekommen. Und nun die Frauenried-Connection auf Kosten der Haidhauser Büchtertage zu loben, halte ich für nicht besonders gelungen. Vermutlich der Karolinensiel-Effekt: Karolinensiel ist ein winziger Ort in der Nähe von Jever. Dort las ich 1999 mit einer Experimentaltruppe namens "klextrem", eine allenfalls mittelmäßige Perfromance war das, im dortigen Pfarrhaus. Es kamen aber weit über 20 Zuschauer, oder waren es genau 27? Ich kann es nicht mehr genau beziffern. Aber warum ist das so? Muss mich das jetzt eigentlich erläutern? Nur so viel dazu: Auf dem Land gibt's halt nichts, oder pro Woche 1 oder 2 solche Sache. Das wird in F'ried nicht anders sein. Folglich gehen da alle hin. Es ist Party im Dorf. Die haben ja wahrscheinlich nicht mal einen Weihnachtsmarkt, wo der "Bildungsbürger" sich akzeptiertermaßen am Wochenende mit Glühwein betrinken kann. ;)
AntwortenLöschenLieber Armin,
AntwortenLöschenIch lob doch nicht die Frauenried-Connection auf Kosten der Haidhauser Büchtertage. Mich hat Frauenried nur so fasziniert, mich, den Preußen in bairischen Landen.
Und das wir uns nicht missverstehen; mir hat das Festival sehr gut gefallen, die konzentrierte, fast intime Atmosphäre, die spannenden Diskurse, die guten Lesungen. Gerade deshalb fand ich das mangelnde Publikumsinteresse etwas betrüblich.