Dienstag, 4. September 2012

Kafka. Ich beschäftige mich in letzter Zeit wieder intensiv mit Kafka.
Lese in seinem Band “Betrachtung”, durchstöbere Skizzen in seinen Oktavheften, traue mich nicht so recht an seine Romane, die ich in meiner Jugend alle abgebrochen habe (da es sich um Fragmente handelt, ist das ja auch nicht so schlimm - und hier bin ich fast verleitet, die feine Ironie zu kennzeichnen, die in diesem Land so schlecht verstanden wird).
Gerade las ich in einem Buch mit Anekdoten über Kafka (R. Stach: “Ist das Kafka?”) die Broskwa-Skizze, die mich sehr beeindruckt hat, und die ich Lust hätte weiterzuführen. Aber wäre das nicht völlig sakrosankt? Kafka fortschreiben? Ich würde geschlachtet werden vom Feuilleton, die Rezensenten würden mir einen Apfel in den Rücken werfen. Die Lektoren sowieso.
Zu der Broskwa-Skizze gibt es eine hübsche Geschichte. 2007 schickten die Macher der Literaturzeitschrift “Edit” diesen halbseitigen Text an vier bekannte Verlagslektoren. Die hatten viele, viele Verbessungsvorschläge… naja, vielleicht hätte Kafka ihnen zugestimmt, er war ja geradezu fanatisch selbstkritisch.

Ich erinnere mich nur vage des Zeitpunkts, an dem ich zum ersten Mal eine Erzählung Kafkas las. Es war “Das Urteil”, ich vermutlich elf oder zwölf Jahre alt und völlig ratlos, aber auch ergriffen. Die Szenerie in dem zwielichtigen Hinterzimmer, dann auf der Brücke, ging mir Jahre nicht mehr aus dem Kopf. Wenig später las ich “Die Verwandlung” und war hingerissen, gepackt und durchgeschüttelt. Die Landarzt-Prosa allerdings langweilte mich, und durch den Process konnte ich mich nicht durchkämpfen, wenn mich auch die Szene auf dem Speicher sehr beeindruckte, sie in meinen Träumen wiederkehrte.

Auf Kafka kam ich durch Gustav Meyrink (den ich mir justamente auf meinen Kindle geladen, nachdem ich ihn, im Gegensatz zu Kafka, rund dreißig Jahre nicht mehr gelesen habe; schon die ersten Zeilen des “Grünen Gesichts” kamen mir unheimlich vertraut vor), mein älterer Bruder hatte mir Romane des Phantasten geliehen, ich las sie mit großer Leidenschaft. In einem der Bücher war wohl eine kurze Biographie Meyrinks abgedruckt, dort erfuhr ich von Franz Kafka, fand später ein Fischer-Taschenbuch des Titels “Das Urteil” im väterlichen Bücherregal und begann zu lesen.
Ich glaube Kafka war der erste ernsthafte Literat, den ich las. Und losgelassen hat er mich nicht mehr.

Es ist merkwürdig. Obwohl ich seine Bücher Jahre nicht mehr hervor holte, hing doch fast immer ein Photo von ihm über meinem Schreibtisch (das Berliner Porträt von 1924).
Merkwürdig auch, dass ich mich Kafka schon immer geradezu persönlich nahe fühlte, schon als Kind und jetzt noch immer. Merkwürdig, weil Kafka scheu war, trotzdem ihn jeder leiden mochte (ich hingegen bin vorlaut, großkotzig, rechthaberisch). Er rauchte nicht, trank, von seinem letzten Jahr abgesehen, kaum einmal ein Bier, lebte Gesund, trieb Sport, ernährte sich gut - kurz: war ein agiler, freundlicher Mensch, der der Lebensreform-Bewegung zuneigte. (Wobei, zuneigen tue ich ihr auch, ins Besondere der des Monte Veritas, aber im wirklichen Leben trinke und rauche ich zu viel, schlafe unregelmäßig, esse nicht sonderlich ausgewogen).
Hätte ihn nicht die Schwindsucht dahin gerafft, wäre er sicherlich 80 oder 90 Jahre alt geworden, und vielleicht erst zu meinen Lebzeiten gestorben, 1973 zum Beispiel, hätte die Hippie-Bewegung mitbekommen, die Beatniks, Rock’n’Roller… Nazis. Ich befürchte, Kafka wäre 1939 in Berlin ansässig gewesen und auch dort geblieben. Doch vielleicht wäre auch sein alter zionistischer Wunsch durch die braune Pest verstärkt worden, und er hätte sich schon 1934 nach Haifa eingeschifft. Hoffentlich.

Ich bin nicht sicher, ob ich mich mit ihm gut verstanden hätte, aber es wäre schön gewesen, ihn kennen zu lernen.

Franz Kafka, Selbstporträt, vermutlich 1911

.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen