TOTENSOMMER [7]
+++ Live-Kolportage-Roman aus dem Jahr 2020 +++
Die letzten Kilometer zwischen Bahnstation und Grautow musste er
laufen, da der Bus schon in normalen Zeiten nur zwei Mal am Tag fuhr.
Mittlerweile war die Linie eingestellt.
Georg
stapfte verdrossen die Landstraße entlang. Nur alle paar Minuten kam
ein Auto vorbei gefahren und die Fahrer schauten ihn grimmig an, als
würde er durch eine Sperrzone wandern. Vielleicht war dies ja schon
eine Sperrzone, dachte Georg. Ich hab vorher gar nicht im Netz
nachgeschaut, ob dieser Teil Brandenburgs von der Krankheit besonders
schwer betroffen ist. Vielleicht ist schon das Militär unterwegs, um
solche Leute wie mich zu fangen, wegzusperren? Doch davon hatte er
nichts gelesen. Militär wurde noch nicht eingesetzt. Aber konnte
sich das nicht jeden Moment ändern?
Er
schaute sich um, lauschte in die stille Landschaft hinein. Nur der
Wind war in den Zweigen der Alleebäume zu hören, keine
landwirtschaftlichen Maschinen, kein Mensch, kein Tier, nicht einmal
das Singen einer Amsel, oder der Schrei eines Bussards.
Plötzlich
wurde ihm der Ernst der Lage bewusst. Obwohl in Berlin viel mehr
Zeichen des Ausnahmezustands erkennbar gewesen waren, wurde ihm erst
hier in der menschenleeren Landschaft deutlich, was ihnen allen
bevorstand: 60 bis 70 Prozent Durchseuchung, Todesrate von mindestens
4 oder 5 Prozent, wenn das Gesundheitssystem zusammenbrach. Das alles
war leicht auszurechnen, dafür brauchte man kein Mathematikstudium.
Die Antwort, um die sich alle zu drücken schienen, lautete: 2
Millionen Tote allein in Deutschland, wenn nicht mehr. Die
Apokalypse.
Konnte
diese Zahl denn stimmen? Georg wusste es nicht. Das durfte doch nicht
wahr sein! Er rechnete es immer wieder durch, während er die
Landstraße entlang ging. Selbst wenn die Letalität bei nur einem
Prozent blieb, und das kam ihm sehr optimistisch vor, würde das eine
halbe Million Tote bedeuten. Berge von Leichen. Die Friedhöfe würden
überquellen. Die Welt würde niemals wieder so sein wie zuvor.
Georg
blickte zum Himmel, der überirdisch blau war und völlig ohne
Kondensstreifen. Keine einzige Wolke am Himmel und die Sonne strahlte
ihr Licht auf die Erde, als würde sie das Land reinigen wollen.
Nur
nicht die Nerven verlieren, murmelte er, alles wird gut. Aber er
glaubte nicht daran.
Kurz
vor Grautow kam er an einem Edeka vorbei, in den er so vorsichtig
hinein ging, als würden Scharfschützengewehre auf ihn gerichtet
sein.
Die
spärliche Kundschaft blickte sich gegenseitig misstrauisch an und
wahrte mehr Abstand, als nötig. Klopapier war selbstverständlich
ausverkauft, Nudeln, Mehl und Tiefkühlwaren auch. Selbst die Regale
mit Konserven waren größtenteils leer. Georg ergatterte eine Dose
mit Roter Beete, zwei mit Kidneybohnen und ein Glas Sauerkraut. Ein
abgepacktes Graubrot war noch zu kriegen und utlra-hocherhitzte
Käseecken. Am Schnapsregal nahm er sich zwei Flaschen
Doppelkorn – wer wusste schon, was man noch desinfizieren musste –
und ging zur Kasse, vor der Abstandhalter auf den Boden geklebt
waren.
Eine
junge Frau in der Schlange drehte sich zu ihm um und schaute ihn
misstrauisch an.
„Sie
sind aber nich von hier, wa?“
Georg
zuckte die Schultern und schwieg.
„Sind
Sie nun von hier, oder nich?“
Man
sah ihr an, dass sie ihm am liebsten auf den Leib gerückt wäre, um
bedrohlicher zu erscheinen, sich aber nicht traute.
„Ich
hab ein Haus hier, in Grautow“, sagte Georg leise.
„Kann
ick mir nich vorstellen“, sagte die junge Frau und verzog ihre rosa
geschminkten Lippen. „Ick wohn hier schon seit meiner Geburt, und
ick hab sie noch nie gesehen.“
Ein
älterer Mann, der gerade seine Einkäufe bezahlte, mischte sich ein.
„Nu
lass ihn schon in Ruhe, Jennifer, der hat dir doch nix getan.“
Jennifer
zog scharf die Augenbrauen hoch.
„Weißte,
Karl, das überlass mal besser mir, wa? Der Typ gehört hier nich
her. Wer weiß, was der alles einschleppt?“
Dann
wandte sie sich wieder an Georg.
„Wir
mögen keine Fremden hier, nur damit Sie‘s wissen. Is das klar? Von
wegen Haus.“
Die
Kassiererin blickte nun auch von ihrem Scanner auf.
„Ick
hab Sie hier auch noch nie gesehen. Kann mir nich vorstellen, wo Sie
ein Haus haben wollen.“
Georg
zog defensiv die Schultern hoch.
„Mein
Onkel hat hier ein Wochenendhaus, ich darf dort wohnen“.
Er
nannte den Namen seines Onkels und der ältere Mann nickte.
„An
den kann ich mich erinnern. Ein komischer Kauz, war schon seit Jahren
nicht mehr hier. Dem gehört das rote Haus am Dorfrand.“
Georg
nickte eifrig und die Kassiererin wandte sich wieder ihrer Arbeit zu,
selbst die junge Frau war still, schaute ihn aber immer noch
bitterböse an.
„Wär
ja wohl noch schöner“, murmelte sie.
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Florian hier Gerald bitte Ruf mich an Nr 017685514914
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