TOTENSOMMER [8]
+++ Live-Kolportage-Roman aus dem Jahr 2020 +++
5. Kapitel
Das
Haus war so runtergekommen, wie er es in Erinnerung hatte.
Drei
von sechs Räumen waren leer, nur alte Blümchen-Tapete hing traurig
von den Wänden und Mäusekot lag in den Ecken. Im Zimmer unterm Dach
hatte es reingeregnet und der Dielenboden war aufgequollen.
Im
Erdgeschoss waren nur die Küche, das Wohnzimmer und eine kleine
Schlafkammer nutzbar. In der Küche stand eine antike Kochmaschine,
die man mit Holz beheizen konnte, ein wackeliger Tisch mit
Resopal-Platte und vier Stühle, aus deren Sitzflächen der
Schaumstoff rauskam. Die Kammer wurde fast vollständig von einem
alten Doppelbett eingenommen, dessen Federbetten nach Muff und dem
Fett der Gänsedaunen rochen. Nur das Wohnzimmer sah einigermaßen
wohnlich aus. Ein Sofa aus der Vorkriegszeit stand neben dem großen
Fenster zum Garten, drei Sessel mit erbsgrünen Polstern waren um
einen niedrigen Tisch aus Eichenholz gruppiert und zwischen zwei
Bücherregalen hing ein Ölbild mit einer Waldszene, die gar nicht
mal so kitschig wirkte. In den Regalen stapelten sich Bücher und
Zeitschriften, ein halbes Dutzend Nippes-Figuren aus Porzellan und
ein Wählscheiben-Telefon.
Georg
sah sich die Bücher an und blies Staub von den Rücken: drei Bände
Lenin, das Kapital von Marx und Engels, zwei Kochbücher, sehr viele
Kriminalromane von Edgar Wallace und Agatha Christie, eine Reihe mit
Klassikern der Weltliteratur und ein Taschenbuch-Lexikon in zwölf
Bänden. Er dankte seinem Schöpfer, dass er seinen Kindle
mitgenommen hatte.
Es
war kalt im Haus, deswegen ging er raus zu einem kleinen Schuppen,
der windschief an der Hausmauer lehnte, und holte eine handvoll
Holzscheite. Zurück nahm er den Weg um das Haus, damit er den Garten
begutachten konnte.
Hauptsächlich
waren es Disteln und Giersch, die die Beete und Rasenflächen
überwuchert hatten. An den Zäunen, die das Grundstück einhegten,
stand dichtes Gestrüpp und die zwei Linden inmitten des Gartens
waren seit Jahren nicht mehr beschnitten worden. Das Ganze sah völlig
verwildert aus. Immerhin würden sich darüber die Nachbarn nicht
beschweren, weil das Haus zurückgesetzt am Rand der Ortschaft stand,
hinter den Zäunen schlossen nur Felder und brachliegende Weiden an.
Das nächste Haus war gut hundert Meter entfernt die Dorfstraße
runter.
Georg
ging wieder rein und heizte den Kachelofen im Wohnzimmer an. Die
kackbraun glasierten Kacheln wurden schnell warm, der Ofen zog
vermeintlich gut, aber als der Wind auch nur ein bisschen auf den
Schornstein drückte, war der Raum sofort mit dichtem Rauch gefüllt.
„Verdammt!“
Georg
riss die Fenster auf und versuchte, möglichst flach zu atmen. Das
Landleben – ein Grauen. Aber vermutlich besser, als in der
Großstadt eingeschlossen zu sein.
Während
der Rauch abzog ging er zur Leiter im oberen Stockwerk und kletterte
zum Kriech-Speicher hinauf. Gebückt konnte er sich gerade noch
bewegen und schaute sich um. In einer Ecke stand eine eingestaubte
Kommode und unter der kleinen Dachluke ein steinaltes Fernsehgerät.
Nordmende, sicherlich 40 oder 50 Jahre alt, vermutlich sogar noch in
Schwarzweiß.
Georg
zog nacheinander die drei Schubladen der Kommode auf: zerfledderte
Wanderkarten, rostiges Werkzeug, mottenzerfressene Decken und zwanzig
Rollen Klopapier aus DDR-Produktion. Auf der Banderole stand
Werra-Krepp.
„Besser
als nichts“, murmelte er.
Dann
ging er wieder runter und packte seine Sachen aus. Der Rauch hatte
sich mittlerweile verzogen und die Holzscheite hatten eine so große
Hitze entwickelt, dass die Luft im Schornstein zuverlässig nach oben
gedrückt wurde.
Georg
nahm sein Laptop und ließ sich in die Sofa-Polster sinken. Die
Eisenfedern knarrten und quietschten.
Als
der Abend anbrach, hatte er genug Nachrichten über die Corona-Krise
gelesen und startete ein Videogame. Wenn draußen in der wahren Welt
nur Seuchen und Verdammnis zu finden waren, schien ihm die beste
Alternative, in die Wirklichkeit eines Spiels abzutauchen.
Risen
stand auf dem Start-Screen und Georg wählte den niedrigsten
Schwierigkeitsgrad. Er wollte entspannen, wollte ferne Länder sehen,
Monster mit einem Schwertstreich in die Hölle schicken. Er wollte
jetzt Eskapismus! Realitätsflucht bis zum Abwinken!
Das
Spiel begann und er fand sich in einer Bucht am Meer wieder. Die
Wellen schlugen wild ans Ufer und der Gewitterhimmel wölbte sich
zerklüftet über dem Wasser.
Am
Ende der Bucht breitete sich ein üppiger Dschungel aus, in dem
sicher gefährliche Ungeheuer lauerten.
Georg
schaute sich um, indem er die Maus nach links und rechts bewegte. Am
Ufer lagen tote Matrosen, die wie er Schiffbruch erlitten hatten,
aber nicht so gut weggekommen waren, die nicht Helden dieses Spiels
sein durften, nur leblose Charaktermodelle im pixeligen Sand.
Er
durchsuchte ihre Taschen und sackte Goldstücke, Rum-Flaschen und ein
Entermesser ein. Dann stieß er auf eine Frau, die ebenfalls im Sand
niedergestreckt lag, die aber offenbar noch nicht ihr Leben
ausgehaucht hatte. Ihr Name war Sara und sie suchte seinen Schutz.
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