Dienstag, 2. Juli 2013

Letzte Woche Sand von Herrndorf gelesen. Bester Roman der letzten zehn Jahre. Allein schon der Anfang, dieses äußere und innere Panorama, das sich da auftut. Und die Figur der Helen Gliese (der Name der Sterne in Skorpion und Waage), selten eine so gute Charakterisierung in einem zeitgenössischen Roman gelesen. Darüber hinaus bin ich mir allerdings unsicher, ob Cetrois und Polidorio die selbe Person ist. Wäre dramaturgisch naheliegend. Aber ich glaube mich zu erinnern, dass Cetrois an der Auffahrt der Villa vorbei taumelt, in der zur gleichen Zeit Polidorio den blasierten Schriftsteller besucht.
Vermutlich ist der karierte Anzug des Rätsels Lösung. Ich muss den Roman in diesem Sommer ein zweites Mal lesen.

Was mich erneut verunsichert hat, war die so plastische Beschreibung der Wüste. Natürlich war sie plastisch, Herrndorf war ja im vorletzten Jahr dort. Die Verunsicherung betrifft auch nur mich selbst, denn in meinem nächsten Roman (mit dessen Entwürfen ich mich gerade beschäftige) wird die Wüste (Nevadas) eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Blöd nur, dass die einzigen Dünen, die ich jemals gesehen habe, bei Scheveningen an der Nordsee liegen. Ich hoffe, ich werde es besser als Karl May hinbekommen.

Seit gestern Morgen dann zum dritten Mal Arbeit und Struktur in einem Rutsch gelesen. Neben Sand sein bestes Werk, wie ich finde. Noch selten einen derart eindringlichen Text gelesen. Nun warte ich auf seine letzten Einträge die, befürchte ich, bald erscheinen werden.

Parallel dazu Leben von David Wagner. Natürlich lange nicht so gut und tiefsinnig, es fehlen in dem Buch die Reflektionen, das Innenleben; aber als eigenständiger Text gar nicht mal schlecht. Ich habe es jedenfalls bis zum Ende gelesen, und mich nicht darüber geärgert, dass Wagner dafür den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat. Interessant auch, dass wie in unserer Jugend offensichtlich partiell den gleichen Musikgeschmack hatten: Joy Division, The Cure, Souixsie and the Banshees. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Hätte bei ihm eher auf Duran Duran, maximal auf Depeche Mode getippt.
Vermutlich sollte ich Leben erneut lesen, wenn Herrndorfs Blog in meinem Kopf wieder etwas verblasst ist. Vermutlich ist das in Wirklichkeit ein gutes Buch.

Mittlerweile natürlich in einer reichlich morbiden Stimmung (noch morbider als sowieso schon immer). Stehe alle halbe Stunde auf dem Balkon in der Sonne, rauche Camel Filter (Marke meines verstorbenen Vaters) oder West (Marke meiner verstorbenen Mutter) und sinniere über den eigenen Tod. Momento Mori. Auch nichts Neues.

Ansonsten ein paar Gedichte geschrieben und über den Roman nachgedacht, den ich wahnsinnig gerne Licht & Blindheit nennen würde. Geht natürlich nicht.
Immerhin ist mir gestern im Halbschlaf eingefallen, wie ich das Motivationsproblem der zentralen Figur lösen kann: mit dem Angebot, ihr einen Computerchip ins Gehirn zu verpflanzen.

Sehr unsicher bin ich mir aber noch über die Struktur des Ganzen. Soll ich mit Spannungsbogen und Plotpoint arbeiten (so wie bedingt im letzten Manuskript - Wermut), oder bastle ich ein riesiges Gestrüpp verschiedener Segmente aus Zeit und Raum zusammen? Und wie behandle ich die wörtliche Rede im frühen 18ten Jhdt, euro Gnaden?

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In den letzten Wochen immer wieder mal über den Bachmann-Preis nachgedacht. Zum dem Schluß gekommen: seit sicher zehn Jahren unnötige Veranstaltung.
TV ist eh scheiße. Und wären endlich alle Literaturverwurstungsshows im TV verwurstet und runtergespült, wäre der Bachmann-Preis Geschichte, ebenso wie alles was zum Beispiel Thea Dorn verbricht bis zum Erbrechen, dann würde vielleicht, vielleicht die wirklich relevante Literatur unserer Generation wahrgenommen werden.
Urteil natürlich schwer getrübt durch die Kränkung, trotz zweimaligem Bewerbs dort nicht eingeladen worden zu sein.
Immerhin haben sie vor Jahren Herrndorf zum Tanz aufgefordert, wenn er am Ende des Abends auch nicht das Blumenbuket zugeworfen bekam.

Von Kränkungen gesprochen: seit der Umsonst-Aktion auf Amazon hat sich die eBook-Ausgabe von Bitterstoffe kein einziges Mal verkauft. Kein einziges Exemplar. Völliges Scheitern. Und die Fahnen hängen schlapp in der absoluten Windstille.

Aber: mein vierter Gedichtband wird im Oktober erscheinen. Cover und Klappe sind schon fertig (Lektorat steht noch aus, was mich ein bisschen unruhig macht):



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9 Kommentare:

  1. lieber florian: seit 1990 hab ich mich jedes jahr für klagenfurt beworben: die texte immer mindestens an zwei bis drei juroren geschickt: seit 1990 ebenfalls für meran: da war ich letztes jahr ja immerhin: wenn auch umsonst: es ist alles sinnlos...am besten: geordneter rückzug: liebe grüße von hier: thomas.

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  2. Ja, die Avantgarde leitet den geordneten Rückzug ein. Niemals! Attacke!

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  3. Zu "Sand": Kapitel 9 ist sehr aufschlussreich - und dann doch wieder nicht... Mist! Immerhin verabreicht Polidorio im Rückblick seinen ungeliebten Protituierten Drogen aus der Asservate, und auf der Schriftstellerparty fällt der Name "Cetroix".
    Um der Unwahrscheinlichkeit im Roman noch eines draufzusetzen: Habe den Roman ebenfalls just fertig gelesen... Hmmm, lässt einen nicht los, das Buch

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  4. Ich dachte ja anfänglich Cetrois wäre Lundgren, das scheint aber nur ein Ablenkungsmanöver Herrndorfs gewesen zu sein.
    Und Polidorio hat ja ständig pünktlich wiederkehrende Kopfschmerzen, was auf ein Gehirnproblem hindeuten könnte, das dann den Gedächtnisverlust verursacht hätte.
    Polidorio ist also Cetrois, aber von wem wird er niedergeschlagen?

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  5. Sie meinen von Hermsdorf ist es der beste Roman oder der beste deutsche Roman, oder noch besser, der beste Roman eines deutschen Schriftstellers

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  6. Der beste deutschsprachige Roman, den ich in den letzten zehn Jahren gelesen habe; das meinte ich.

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  7. "Nun warte ich auf seine letzten Einträge die, befürchte ich, bald erscheinen werden."

    Seit Tagen habe ich diesen Satz im Kopf, weil ich ihn selbst schon so oft gedacht habe. Und jetzt steht er hier.

    Die Differenzen zwischen Eintragsdatum und Veröffentlichungsdatum steigen an. Diese wachsende Distanz beklemmt. Ich will nicht wissen, was inzwischen geschah, und warte doch permanent auf die nächsten Zeilen. Habe mich selten bei einer Lektüre so gespalten gefühlt.

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  8. Ja, ich finde das auch sehr beklemmend, aber manchmal hoffe ich, dass Herrndorf nur keine weiteren Einträge postet, weil er an einem neuen Roman arbeitet. Am Isa-Text, oder am Science-Fiction-Roman, von dem er schon einmal berichtete.
    Vermutlich trifft aber das Naheliegende zu.

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