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Donnerstag, 13. Dezember 2012
(Samstag, 8. Dezember 2012, auf dem Weg
in die Provinz Baiern)
Auf der Fahrt in Richtung Jena/Paradies
schaue ich in die Landschaft, in den Schnee, der sich die letzten
Tage über das ganze Land gelegt hat. In den weißen Wäldern könnte
man graue, ausgemagerte Wölfe vermuten, in den Schlössern und
Herrenhäusern links und rechts der Gleise werden wohl Ritter und
bleichhäutige, blutleere Adlige wohnen.
Ein Märchenland wäre das, wenn nur
nicht all die Shopping-Malls und Fabrikhallen sich ins Bild schieben
würden.
Im Großraumwagen kaum Passagiere, und
der Schaffner erinnert mich an irgendwen, doch im Erinnerungsspeicher
ist kein Zwilling für ihn verzeichnet.
Die Fahrt geht weiter durch den
Thüringer Wald, durch enge, mit Schatten geflutete Täler, weiter
über die Prärie der fränkischen Landstriche, bis hin zur
Hauptstadt mit Herz, Hauptstadt mit aufgeblähten Herzbeuteln.
Schnee |
Im Wald da sind die Wölfe |
Herrenhaus |
Das Schloss |
Im Wald da sind die Dohlen |
Kurz nach drei Uhr betrete ich leise
den Saal des Einstein-Kulturzentrums, des sich in den alten
Gewölbekellern einer ehemaligen Brauerei befindet; all die sonnigen
Winterlandschaften, an denen ich die letzten Stunden vorbei gefahren
bin, liegen weit hinter mir, denn hier bin ich nun in einem Bunker
ohne Mobilfunk-Netz.
Vorne an der Bühne steht Wolfram Malte
Fues und diskutiert mit dem spärlichen Publikum über die
verschiedenen Möglichkeiten der Lyrik in dieser Zeit, bezieht sich
auf Schiller und schaut aus wie Jean Marais, kurz bevor er sich die
Maske des Fantomas überstreift. Er hat zweifelsohne Charisma, aber
er hat auch zweifelsohne wenig Zuhörer (leider, denn er scheint klug
zu sein und hat etwas zu vermitteln). Nicht anders wird es in den
folgenden Veranstaltungen der Haidhauser Büchertage sein.
Mitten in einer Millionenstadt verirren sich zu jeder Lesung kaum
mehr als ein Dutzend Interessierte. Warum das so ist? Ihr fragt
besser nicht.
Am frühen Abend gehe ich zurück zum
Bahnhof, um nach Frauenried zu fahren, ein winziges Dorf, in dem der
Hallinger Markus mit seiner Frau und den fünf Kindern lebt. (Naja,
drei sind schon ausgezogen).
Der Dichter wohnt in einem Pfarrhaus,
das abseits der anderen Höfe, selbst abseits der Kirche liegt,
hinter tiefem Schnee, vor dunklen Tannen. Die Leute im Dorf reden
über ihn. Er schreibt über die Leute vom Dorf.
Doch zuvor geht es auf eine Lesung im
Nachbarort Weyarn, eine kleine Gruppe von Häusern, die sich um ein
übermächtiges Kloster der Deutschritter ducken. In der Dunkelheit
der matt glänzenden Nacht meine ich in einem anderen Jahrhundert
gelandet zu sein. Ständen keine parkenden Autos vor der kleinen
Dorfbücherei, die sich in einem Raum des Ordens befindet, würde ich
beim Rauchen vor der Tür auf den Landauer warten, gezogen von zwei
falben Schimmeln, der mich zum König bringt. (Versonnen streiche ich
mir über den aufgezwirbelten Schnurrbart).
Weyarn |
Weyarn, Klosterkirche |
Durchgang zum Kloster |
Die Lesung von Hallinger und dem
Schriftsteller Helmfried von Lüttichau ist verblüffend gut besucht,
mehr als zwanzig Leute drängen sich in dem kleinen Raum. Ein
Gitarrenduo spielt, die Männer lesen Gedichte, die Bibliothekarin
schenkt Wein aus und lacht.
Danach Schweineschnitzel, die als
Schweinemedallions verkauft werden, in der hässlichsten Pizzeria
diesseits des Atlantiks. Putti mit Weihnachtsgirlanden, angetrunkene
Dorfjugend, Kulturschock.
Markus Hallinger, Helmfried von Lüttichau |
Julietta Fix, Helmfried von Lüttichau |
Später im Pfarrhaus des Dichters noch
einige Zigaretten und große Gläser mit Kräuterlikör. Während
Markus seine Gedrehten in sich reinzieht, dampfe ich meine
E-Zigarette, die ich mir zwar schon vor acht Monaten gekauft habe,
die ich aber erst seit einigen Wochen regelmäßig benutze. Nunmehr
bekomme ich wieder Luft, aber ganz leicht fällt es mir trotzdem
nicht, auf verbranntes, hoch aggressives Nikotin zu verzichten. Denn
wenn eine Zigarette des Äquivalent zu Heroin wäre, könnte man das
Liquid der E-Zigarette als Methadon bezeichnen. Es hält mich
friedlich, aber manchmal befriedigt es nicht vollständig, der letzte
Kick fehlt.
Das Hallinger Haus |
Am nächsten Morgen (9. Dezember 2012,
noch immer in der Provinz Baiern) früh aus den Betten, große Stücke
Wurst frühstücken, und dann ab in die Landeshauptstadt zurück.
Meine Lesung um 12 Uhr noch schlechter
besucht, als der Vortrag von Professor Fues, aber von den wenigen
Leuten – fast alles Schriftsteller – beglückwünschen mich
anschließend die Hälfte.
Auch die Lesung von Markus zuvor ein
Erfolg, ebenso der ungeplante Auftritt von Frank Schmitter.
Am Nachmittag dann ein Podiumsgespräch
zur aktuellen Situation der Lyriker (verarmt und ausgebuht) zusammen
mit Markus, Johannes Frank und Bertram Reinicke. Schnell kommt das
Thema auf Schreibschulen, und ob man dort das Dichten lernen könne.
Eher nicht.
Auch dieses mal kaum Zuhörer. O,
München, Hauptstadt der Bildungsbürger scheinst du nicht zu sein.
Oder sind alle im Schnee stecken geblieben? Oder wollen sie mich
einfach nicht hören?
Publikum |
Noch ein kurzes Gespräch mit Johannes,
der wenig später zum Flughafen muss, um zurück nach Berlin zu
fliegen, der viel früher in der Heimat ankommen wird als ich, was
ich ihm ein bisschen neide. Dann eine Gulaschsuppe zu fünf Euro,
schließlich zur U-Bahn-Station. Wenig später stapfe ich durch eine
aufgegebene Schalterhalle des Münchener Hauptbahnhofs und besteige
den ICE.
Regional-Bahnhofshalle, München |
In der Helle des Bahnhofs wirbeln
Schneewolken aus den Deckenstrahlern. Die Verlassenheit des Reisens
an einem Winterabend. Richtung Jena/Paradies, wie es neonrot am
Waggonhimmel leuchtet. Die gelassene Verlassenheit des Reisens. In
solch Stimmung von Weltschmerz möchte man zwei Sitze weiter nicht
die graue, warme Unterwäsche einer mitteldicken Frau sehen, die sich
nach Vorne beugt und nach einem Snack angelt.
Abfahrt des Zuges. Eine Stunde später
erreicht mich eine SMS von Johannes, dass sein Flug ob des Wetters
gestrichen worden sei, und er nun in dieser Stadt festhängen würde.
Ach, wie schön kann Bahn fahren sein.
Paradies |
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Freitag, 30. November 2012
Vorgestern trafen sich die Dichter dann in der Gaststätte Willy Bresch, zu einem Stammtisch außer der Reihe.
Bis vor Kurzem war das ja die vermutlich letzte richtige Eckkneipe im Prenzlauer Berg, in der die arbeitslose Arbeiterschaft schon gegen 21 Uhr sich dem Vollrausch ergab, mittlerweile ist der Schankraum nach 22 Uhr von Szene-Gestalten geflutet. Dann kann man nur noch die Bedienung als Orginal zu bezeichnen.
Ich kann mich an die Zeit erinnern, als wir dort zum ersten Mal einritten, das wird gut acht Jahre her sein. Wir waren eine Ansammlung von völligen Fremdkörpern in dem Laden, wurden aber als merkwürdige Ausstellungsstücke in Ruhe gelassen. Mittlerweile ist das alte Stammpublikum in diese Rolle gedrängt worden. Gentrifizierung in der Pinte.
Und das Bier kostet noch immer 1,50 Euro, der Korn "Hausmarke" 1,10 Euro.
Ron trägt mittlerweile Bart, was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Adrian Brody verleiht, Björn lektoriert seinen neuen Gedichtband zwischen zwei Bieren, und ich dampfe größtenteils eine E-Zigarette. Birgit trinkt einen Kaffee und verlässt uns schon zeitig.
Das Gespräch kreiste um Literatur (wie immer), Gott (das war überraschend) und Schach (ich vermute, dass ich das Thema aufbrachte). Neu war mir, dass Eberhard in den 60er Jahren auf Bundesliga-Niveau spielte und einst gegen einen Großmeister in einem Simultanspiel Remis hielt.
In mir reift seit diesem Abend endgültig der Plan, einen Schachclub zu gründen. man könnte ihn "Schachfeunde Else Lasker-Schüler" nennen.
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Bis vor Kurzem war das ja die vermutlich letzte richtige Eckkneipe im Prenzlauer Berg, in der die arbeitslose Arbeiterschaft schon gegen 21 Uhr sich dem Vollrausch ergab, mittlerweile ist der Schankraum nach 22 Uhr von Szene-Gestalten geflutet. Dann kann man nur noch die Bedienung als Orginal zu bezeichnen.
Ich kann mich an die Zeit erinnern, als wir dort zum ersten Mal einritten, das wird gut acht Jahre her sein. Wir waren eine Ansammlung von völligen Fremdkörpern in dem Laden, wurden aber als merkwürdige Ausstellungsstücke in Ruhe gelassen. Mittlerweile ist das alte Stammpublikum in diese Rolle gedrängt worden. Gentrifizierung in der Pinte.
Und das Bier kostet noch immer 1,50 Euro, der Korn "Hausmarke" 1,10 Euro.
Ron trägt mittlerweile Bart, was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit Adrian Brody verleiht, Björn lektoriert seinen neuen Gedichtband zwischen zwei Bieren, und ich dampfe größtenteils eine E-Zigarette. Birgit trinkt einen Kaffee und verlässt uns schon zeitig.
Das Gespräch kreiste um Literatur (wie immer), Gott (das war überraschend) und Schach (ich vermute, dass ich das Thema aufbrachte). Neu war mir, dass Eberhard in den 60er Jahren auf Bundesliga-Niveau spielte und einst gegen einen Großmeister in einem Simultanspiel Remis hielt.
In mir reift seit diesem Abend endgültig der Plan, einen Schachclub zu gründen. man könnte ihn "Schachfeunde Else Lasker-Schüler" nennen.
Ron Winkler |
Björn Kuhligk, Eberhard Häfner |
Ron Winkler, Tom Schulz |
Florian Voß, Eberhard Häfner |
Björn Kuhligk lektoriert |
Ron Winkler, Tom Schulz |
Eberhard Häfner, Ron Winkler |
Willy Bresch |
Florian Voß |
Tom Schulz |
Björn Kuhligk |
Voß, Häfner, Winkler, Schulz, Kuhligk |
Tram |
S-Bahnhof |
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Dienstag, 27. November 2012
Am Sonntag habe ich mir den zweiten Abend des Zeitkunst-Festivals angeschaut (am Tag zuvor war ich noch zu erkältet). In der Villa Elisabeth wurde eine Performance aus Musik (John Cage), Lyrik (Max Czollek, Ricardo Domeneck, Maya Kuperman) und Lichtinstallation (Dieter Puntigam) geboten, die ihresgleichen sucht. Ich habe seit Jahren nicht mehr eine so beeindruckende Bühnenschau gesehen, ein Avantgarde-Zirkus. Inszeniert wurde der Abend von Lilly Jäckl. Ich war von der ersten bis zur letzten Minute gefesselt (obwohl ich zum Ende hin dringend Pipi musste).
Von der Aufführung habe ich leider keine Photos machen können, da meine Knipse zu lichtschwach ist, stattdessen gibt es aber ein paar Bilder von der Aftershow-Party, die Julian Arp und Johanna Melzow ausrichteten. Es gibt keine schöneren Feste, als die der Beiden, kein Fest, auf dem die verschiedensten Nationen sich in der Küche zusammen quetschen, und die - meist kulturellen - Neuigkeiten der Kontinente austauschen.
In Johanna und Julians Küche wird einem schlagartig bewusst, dass Berlin die einzige Stadt Deutschlands ist, in dem ein Knotenpunkt des Röhrensystems zwischen den Metropolen liegt.
In der Szene um das Zeitkunst-Festival und das Verlagshaus J. Frank - die ja eng miteinander verzahnt sind - habe ich das Gefühl Weltbürger zu sein. Für einen Mann, der in Lüneburg und Karlsruhe seine Kindheit und Jugend verbrachte, ist das ein tolles Gefühl.
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Von der Aufführung habe ich leider keine Photos machen können, da meine Knipse zu lichtschwach ist, stattdessen gibt es aber ein paar Bilder von der Aftershow-Party, die Julian Arp und Johanna Melzow ausrichteten. Es gibt keine schöneren Feste, als die der Beiden, kein Fest, auf dem die verschiedensten Nationen sich in der Küche zusammen quetschen, und die - meist kulturellen - Neuigkeiten der Kontinente austauschen.
In Johanna und Julians Küche wird einem schlagartig bewusst, dass Berlin die einzige Stadt Deutschlands ist, in dem ein Knotenpunkt des Röhrensystems zwischen den Metropolen liegt.
In der Szene um das Zeitkunst-Festival und das Verlagshaus J. Frank - die ja eng miteinander verzahnt sind - habe ich das Gefühl Weltbürger zu sein. Für einen Mann, der in Lüneburg und Karlsruhe seine Kindheit und Jugend verbrachte, ist das ein tolles Gefühl.
Villa Elisabeth |
Caspar Frantz |
Ballsaal |
Johannes Frank führt ein |
Oya Erdogan, Odile Kennel |
Tobias Roth, Caspar Frantz |
Ricardo Domeneck, Johannes Frank, Johanna Melzow |
Julian Arp |
Lilly Jäckl, Ricardo Domeneck |
Ricardo Domeneck, Johannes Frank |
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Zeitkunst
Samstag, 10. November 2012
Das Kind spielt Schreibtisch.
Genauer gesagt spielt es Dichter, mit Hocker und Zetteln und blutrotem Filzstift. In der letzten Zeit immer nur Bücher mit Polizei, Polizei, Polizei. Doch so lernt es keine Sachen, das Kind - sagt das Kind zu mir. Derweil ich über den Tod nachdenke und in den heran rauschenden Winter schaue. Derweil das Licht im Zimmer brennt, um fünf Uhr Nachmittags, und das Schaukelpferd nickt, und die Giraffe murmelt: Das bringt doch alles nichts. Vielleicht musst du ein Toten-Gedicht schreiben.
Aber bitte auch ein Polizei-Gedicht soll es werden - sagt das Kind.
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Genauer gesagt spielt es Dichter, mit Hocker und Zetteln und blutrotem Filzstift. In der letzten Zeit immer nur Bücher mit Polizei, Polizei, Polizei. Doch so lernt es keine Sachen, das Kind - sagt das Kind zu mir. Derweil ich über den Tod nachdenke und in den heran rauschenden Winter schaue. Derweil das Licht im Zimmer brennt, um fünf Uhr Nachmittags, und das Schaukelpferd nickt, und die Giraffe murmelt: Das bringt doch alles nichts. Vielleicht musst du ein Toten-Gedicht schreiben.
Aber bitte auch ein Polizei-Gedicht soll es werden - sagt das Kind.
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Freitag, 9. November 2012
Nachdem
ich mehr als drei Monate keine Zeile an meinem neuen Roman
geschrieben habe, hat er mich heute wieder angefallen.
Das
ist eine schreckliche, wenn auch altbekannte Erfahrung gewesen, als
mir im Spätsommer der Elan und die Ideen für den Text ausgegangen
sind. Aber immerhin bin ich ja ein erfahrener
Schriftsteller, der sich zu helfen weiß.
Ich
habe also einen weiteren Roman angefangen, um nicht in diese Leere
gehen zu müssen, die mich unruhig macht, unzufrieden und
angefressen. Und dieser Text schreibt sich seitdem schnell und
unfallfrei.
Damit
nicht genug: zeitgleich habe ich mit den Vorarbeiten zu einem dritten
Roman begonnen, der mich Tag für Tag gedanklich beschäftigt,
so dass ich den ersten (der mein dritter Roman werden wird) ganz aus
dem Blick verloren habe.
Aber
ich redete mir ein, dass das eine gute Idee sei, um den Bezug zu
jenem Roman ganz und gar zu verlieren, um dann mit frischem, leeren
Geist in den zweiten Teil einzusteigen.
Ich
weiß, das hört sich idiotisch an, hat aber funktioniert.
Stand
der Dinge ist: Für Roman Nummer 3 sammele ich in jeder wachen Minute
Material, kaufe einen Haufen Bücher, in denen ich recherchiere
Hauptsächlich die Biographien der handelnden Personen. Roman Nummer 2 –
ein ganz böses Genre-Ungeheuer – schreibt sich fast von selbst.
Und mein Lieblingskind, Roman Nummer 1, hat mich jetzt wieder
abgeholt, beim Abwasch. Da hat sich mein Gehirn in einigen Schlaufen
verdreht, und die Schlange meines Geistes spuckte so grünes Zeugs
aus. Das konnte ich verwenden, und heute Abend habe ich dann rund
15000 Zeichen in die Tastatur gehackt.
Zwischendrin
noch ein paar Gedichte, Blogeinträge und ein Text für eine
Anthologie, die nächstes Jahr bei der Büchergilde Gutenberg
erscheinen wird. Meine Güte; und ich hatte in meiner Jugend immer
den Ruf, faul zu sein.
Nummer 1 wird jedenfalls ein ganz, ganz merkwürdiges Buch.
Eigentlich hatte ich vor, einen klassischen Roman zu schreiben, mit
Plotpoint und Spannungsbogen, aber es ist mir wieder nicht gelungen.
Ich befürchte, das Feuilleton wird den Text unter “Hättest du mal
in Leipzig studiert” einordnen, aber ich finde mich gut zurecht in
der Konstruktion.
Es
ist sowieso eine Schande, dass die mitteleuropäischen Kritiker nur
noch die literarische Hausmannskost goutieren. Weicht man auch nur
einen leichtfüßigen Quickstep vom vorgezeichneten Weg ab, schreien
sie schon nach dem Heiligen Reich-Ranicki. Deswegen sie auch kaum
Lyrik besprechen. Es geht gar nicht darum, dass sie solche Dinge
schlecht finden, nein, sie verstehen sie einfach nicht.
Ich
jedenfalls genieße es, mit drei Romanen zu jonglieren. Und Ideen für
einen weiteren habe ich auch schon notiert.
Es
fragt sich nur: wer soll das alles publizieren, wer das alles lesen?
Doch
letztendlich ist mir das egal. Ich bin Schriftsteller, ich schreibe.
Montag, 5. November 2012
Ich habe Julius Röntgen angeschrieben. Er hat meine Mutter nie kennengelernt. Die beiden standen niemals Hand in Hand vor der Statue auf der Conradbrug. Es wäre zu schön gewesen, nach mehr als sechzig Jahren so eine Wahre Begebenheit zu entdecken. Aber diese zwei Kinder sind in den späten 40er Jahren aneinander vorbei gelaufen. Sind vielleicht nur das eine oder andere Mal zur gleichen Zeit in die Tram Nr. 3 eingestiegen. Und Julius hat Johanna die Zunge rausgesteckt, und meine siebenjährige Mutter hat mit den Augen gerollt.
Aber für mich ist dieses Gedankenspiel wieder eine Erinnerung mehr. So wie die Lesung von Markus eine Erinnerung mehr ist.
Hier die Photos von der - nennen wir es - Aftershow-Party:
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Aber für mich ist dieses Gedankenspiel wieder eine Erinnerung mehr. So wie die Lesung von Markus eine Erinnerung mehr ist.
Hier die Photos von der - nennen wir es - Aftershow-Party:
Florian Voß (Photo Adrijana Bohocki) |
Daniel Falb, Steffen Popp |
Adrijana Bohocki, Hendrik Jackson |
Markus Hallinger |
Karla Reimert, Markus Hallinger, Marte Huke |
Der Hallinger Markus |
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Sonntag, 4. November 2012
Was nicht aufgeschrieben wird, das ist vergessen.
Die letzten Wochen habe ich kaum
geschrieben, weder am Blog noch an anderen Texten. Und all die
Erlebnisse, die ich jetzt nicht mehr erinnere, die sind in die
Unterwelt meines Selbst abgetaucht. Auch wichtige Ereignisse, wie
die Lesung von Hallinger letzte Woche, werden mehr und mehr zu
Schemen.
Ohnehin eine faszinierende Sache,
was sich einprägt und was nicht. Wenn man sich in einem
unspektakulären Moment des Lebens vornimmt, diesen sich einzuprägen,
funktioniert das sogar. Nachdem ich die Wohnung meiner gestorbenen
Mutter geräumt hatte, vor nunmehr fünf Jahren, fuhr ich zum
ehemaligen Haus meiner Großeltern, stand lange davor und ging dann
zurück zur Straßenbahnhaltestelle. Dort wartete ich, mit Blick
auf die Brücke, die sich über den Stichkanal zur Küste wölbte.
Die Statue auf der Brüstung sah noch immer aus, wie meine Großmutter
in jungen Jahren mit ihren zwei ältesten Töchtern. Das war schon
immer Familienlegende gewesen und hatte sich mir in früher Kindheit
eingeprägt, als ich jeden Sommer an dieser Brücke an der Laan van
Meerdervoort stand. Die Sonne schien fast golden, der Himmel war weit
und holländisch. Und ich prägte mir den Moment ein, dachte kurz
über einen Bioladen nach, der am anderen Ende der Straße aufgemacht
haben sollte – selbst das erinnere ich noch jetzt – schaute die
Gleise entlang. Und seitdem liegt mir diese Szenerie klar vor dem
inneren Auge. An das Gesicht meiner verstorbenen Mutter kann ich mich
schon nicht mehr so gut erinnern. Hätte ich keine Photos, wäre ihr
Antlitz genau nur noch das: ein Antlitz.
Also lasst mich schnell noch über
Hallingers Lesung schreiben (mit dem ich zur Zeit eine Partie Schach
per Email spiele; er hat mal 1850 Elo gehabt – und er wird mich
fertig machen, befürchte ich).
Wir kamen zusammen am vergangenen
Sonntagabend im Wedding. Im Parlandopark lasen eine norwegische
Dichterin und eben Markus Hallinger, dessen Debütband ich unlängst
in der Lyrikediton 2000 herausgegeben habe. Und obwohl ich die
Gedichte fast auswendig kannte, ich hatte sie ja lektoriert,
verblüfften sie mich erneut, faszinierten mich gesprochen noch
einmal mehr.
Gute Gedichte sind das, uneitel und
genau, ganz neben der Spur, auf der die meisten Dichter heutzutage
fahren. Eigen sind sie. Und der Gedichtband heißt auch so: Das
Eigene.
Ich bin sehr froh, dass ich dieses Buch
herausgeben durfte.
Die Lesung war gut besucht; in erster
Linie waren andere Dichter und Dichterinnen gekommen, was ja eine
ähnliche Bedeutung hat, wie vorwiegend asiatisches Publikum in einem
chinesischen Restaurant in Berlin: das Essen muss phantastisch sein.
Hendrik Jackson |
Marte Huke, Hendrik Jackson |
Karla Reimert, Markus Hallinger |
Steffen Popp, Adrijana Bohocki, Birgit Kreipe |
Steffen Popp, Adrijana Bohocki, Birgit Kreipe |
Hendrik Jackson, Markus Hallinger |
Hendrik Jackson, Marte Huke |
Markus Hallinger |
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Gerade habe ich nach einem Photo der
Statue auf der Brücke gesucht und sie auf der Homepage eines Mannes
gefunden, der 1945 in Den Haag geboren wurde und seine Kindheit um
die Ecke der Laan van Meerdervoort verbracht hat. Da meine Mutter
1943 zur Welt kam und ebenfalls ihre Kindheit in diesem Viertel
verbrachte, auch täglich mit der Tram Nr. 3 von der Brücke abfuhr,
ist es fast schon wahrscheinlich, dass sich die beiden kannten,
zusammen auf der Straße gespielt haben, vielleicht sogar die selbe
Schule besuchten. Auch dieser Mann, Julius Röntgen, schreibt
sehnsüchtig über seine Erinnerung an die Statue. So zentrieren
sich viele Gedanken um dieses Bild eines Sommermorgens, eines
Winternachmittags auf der Brücke, auf der auch ich so oft stand, mit
Blick auf die steinerne Mutter mit ihren zwei steinernen Kindern.
Das Internet ist eine Art von Noosphäre
geworden, ein Nullpunktfeld, in dem sich alle personengebundenen
Neuronen vereinen. Es ist eigentlich der konkrete Himmel geworden,
ein Jenseits aus Nullen und Einsen.
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