Donnerstag, 13. September 2012

Kierling bei Klosterneuburg, Sommer 1924


1.

Der Blutauswurf in kleinen Flecken
auf dem Schnee des Taschentuchs

Der Doktor in dem weißen Kittel
unter dem sich seine Rippen wölben

Ein Traumdeuter aus Wien
oder einer andren dunklen Stadt

hinter einem andren hellen Fluss
auf dem der Doktor seinen Nachen

gemächlich an das Ufer stakt
Auf den Brücken drehen sich die Schatten

Das Blut steigt langsam auf
in den Chitinflügeln der Lunge

Und draußen tanzt die Sonne eine Polka
zwischen Geländerstreben des Balkons

Die Sommervögel kreischen
Die Kurkapelle wälzt ihr Blechgestöhn

So blickt mein Ich auf mich und sagt
etwas vom Sommerbad, vom Wasser

Vom Bier, das ich mit meinem Vater trank
Sein Bauch im Wasser schwebend


2.

Kaum ein Junge war so klein
neben seinem riesenhaften, schweren Vater
der als Festung in dem Becken stand
der Badeanstalt am Ufer unsres Stroms
Und diese Biere, in zwei feuchten Gläsern
standen groß am Beckenrand und wollten
von uns beiden bald getrunken sein

Die aufgestobnen Wassertropfen glänzten
auf den Schultern der dunklen Badegäste
Entfernt konnt ich ein Schachspiel sehen
die weißen und die schwarzen Felder
am Beckenrand, entfernt von unsren Bieren
Der Himmel summte überm Glas der Moldau
Das Leben war nicht mehr zu sehen


3.

Ich sollte bald ertrunken sein
im Schatten der Mansarden-Räume
wo Schreibmaschinen mir dann tiefe
Lettern in die Hände hackten

Da lag das Fräulein Bürstner
der Rock war leicht verrutscht
und gab ein Stück der Beine frei
ganz weißes Fleisch im Schatten

Unter einer trüben Dachluke
schwebte ein Film aus Staub
die Sonnenstrahlen fächerten
die Einzelbilder auseinander

Auf der Staub-Leinwand
konnte ich den Rabbi sehen
wie er mit kantig großer Geste
das Aleph in den Lehm einschrieb

Konnte in dem Sonnenfächer
ganz neue Blitze schauen
Totenlicht und Leuchtspuren
überm stark gefurchten Boden

Zwischen den Holzplanken
taten sich die Schattenlöcher auf
und ich ertrank im Schlamm
am Grund der Gräben



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