Ich habe einen Streifen mit Tabletten in
der Hemdtasche meines gelben Hemdes, der knistert wenn ich beim
Lesen die Seiten umschlage.
Das Hemd habe ich am frühen Abend
angezogen, weil mir ein Vogel auf mein hellgraues Lieblingshemd
geschissen hatte, als ich (zusammen mit meiner Frau) meinen Sohn vom
Spielplatz abholte.
Dort hatte er mit Freunden ein Blumenbeet
angelegt, im Sandkasten, aus abgerupften Blättern. Mit einem krummen
Stock hatte er auch Unkraut freigelegt und zum Sandkasten getragen:
ein Blumenbeet aus Blättern und Stengeln.
Die Tabletten in dem knisternden
Verpackungsstreifen sind für meinen nervösen Magen, der den Wein
weniger und weniger verträgt mit den Jahren (genau wie es bei meinem
Vater war, dem der Alkohol letzlich die Leber zerfraß und ihm einen
unschönen Tod bereitete – aber was ist schon schön am Sterben?).
Aber mein Kopf verträgt ihn noch gut – versehentlich wollte ich
schreiben: mein Tod verträgt ihn noch gut – am Abend. Am nächsten
Morgen jedoch sind die Nerven porös, und ein rote Flut von Zorn
schwappt durch mein Ich (wie ich es gemeinhin nenne, der Einfachheit
halber), das sich aufteilt zwischen Gehirn und diesem Nervenknoten
neben dem Magen, der zwar nicht denken aber hassen kann.
Man darf mir dann nicht zu nahe kommen,
denn ich bin ein böses Tier. Doch weil ich noch immer aussehe wie
ein bleicher Mittvierziger, und nicht wie ein böses Tier, und weil
kein Gitter ist zwischen mir und der Welt (obwohl das hilfreich
wäre), kommen die Leute heran und sprechen mit mir. Sie halten mir
Stöckchen hin und Blätter, aber mein Magen ist zu nervös, um das
zu essen.
Und ich schaue sie an, die Besucher, und
knurre laut.
Ich fresse meine Magentabletten und bin
voller Missgunst gegen die Welt. Aber die Besucher, sie wollen
einfach nicht verschwinden.
*
Es gefällt mir in den letzten Jahren
immer besser, in der Wohnung zu sitzen, an einem Tisch am Fenster,
und herauszuschauen in den Vormittag. Ich brauche das Außen nicht,
ich muss nicht in den Sommer hinaus gehen, ich sehe es ja von innen.
Ich lege bald meine fetten, bleichen Unterarme auf die Fensterbank
(ein gehäkeltes Kissen darunter) und grüße die Nachbarn mit einem
unverständlichen Brummeln.
Gegenüber steht ein sozialer Wohnblock
aus den späten 20ern, Hausfassaden, wie ich sie aus meiner Kindheit
kenne, mit Schatten getüncht, mit fremden Menschen bepackt. Ich habe
kein großes Interesse an diesen Menschen. Es sind nur Menschen. Sie
werden sterben, auf kurz oder lang. Warum sollte ich Interesse
entwickeln. Ich bin ein unsterblicher Rentner am Nachmittag (oder am
Vormittag), mich tangiert das nicht mehr.
Mir wird es gut gefallen im Altersheim.
Ich möchte ein helles Zimmer haben, das soll leer sein. Nur ein Bett
soll drin stehen, und ein kleiner Schreibtisch mit einem Stuhl. Keine
Bücher werden dort sein, keine Bilder, kein Kram. Ein eBook-Reader
und ein Notizbuch werden mir genügen. Etwas Musik vielleicht, von
einem MP3-Player (in erster Linie Bach und Purcell). Kräutertee und
Schokolade. Ein Blick in die Sonne. Platanen vor den Fenstern. Ab und
an eine Notiz. Und auf der Straße des Nachts der eine oder andere
Verehrer, der meine Gedichte mit heißerer Stimme intoniert.
Ich habe einmal den Kommunarden Langhans
in einer TV-Sendung gesehen. Er saß in seinem Zimmer, und in diesem
weißen Zimmer gab es nichts, außer einer Matratze, einer Handvoll
Bücher und einem Laptop. Das reicht, mehr braucht es nicht. Da will
ich hin.
(Ich muss gleich morgen 2000 Bücher
verschenken).
.
huch, eben verlesen:
AntwortenLöschen"Ich habe einen St(r)eifen mit Tabletten .... "
auweia,
aber danke für den Lacher nach einem doofen Tag