Sonntag, 20. Mai 2012

Nicolas Berggruen ist ein Zen-Kapitalist.

Sein Jet breitet seine Gedanken in den Himmeln über den Großstädten aus. Aber natürlich werden die Gedanken durchsichtig, während sie flirrend durch den Himmel hinab sinken.
Berggruen hat Geld, zahlenweise Geld, ich habe keins. Seit das Arbeitsamt die Miete gekürzt hat - denn ich lebe zu luxeriös in einer zu großen Wohnung - bleiben mir den Monat über knapp 200 Euro für Bücher, Essen, Trinken und Eintritt für Dichterlesungen. Aber mit vielen Kartoffelgerichten und ständigem Geschnorre geht es schon. Ja, danke der Nachfrage, es geht schon.

Aber ich könnte dem Zen-Kapitalisten Nicolas Berggruen einen Brief schreiben; natürlich nicht ihm, sondern seinem Vorzimmer, seinem Bodenpersonal, denn wie sollte der Brief seinen Jet erreichen? Es wäre ja kein Air mail special, sondern nur ein dünner Briefumschlag, der für 55 Cent von der deutschen Post befördert werden würde.
In dem Brief wäre ein gefaltetes Blatt, und auf dem Blatt würde NICHTS stehen. Es wäre ein Zen-Brief.
Aber natürlich könnte ich mich nicht unterstehen, ein Postskriptum anzuhängen:

Lieber Nicolas Berggruen,
wären sie so lieb, und könnten mich unter all ihren Bittstellern heraus picken. Könnten sie meine Arbeit fördern? Ich bin nämlich so arm, und ich habe nämlich so viel Arbeit zu tun.
Ich brauche ja gar keinen Jet, ich brauche nur eine Kammer und ein Essen und eine Flasche Wein (es muss kein teurer sein). Und natürlich die Extra-Miete, die mir das Jobcenter nicht zu zahlen gewillt ist.
Und sie könnten mich ab und zu an einen warmen Ort mitnehmen, wenn es Winter und dunkel ist in Berlin, damit ich dort noch mehr arbeiten kann, an einem lauen Abend in Port de Soller (es müssen ja nicht die Malediven sein, schon gar nicht die Südsee, ich heiße ja nicht Paul Gauguin).
Mit den allerbesten Grüßen Florian Voß

Oder endet man lieber mit "Vorzüglicher Hochachtung" (so unterschrieb mein Vater immer die Entschuldigungsschreiben an die Schule, wenn ich mit Mandelentzündung im Bett lag. Von draußen flockte ein trüb graues Licht in die Schlafkammer, und die Fieberträume bauten Berge von Schnee an den Hügeln des Landes Schizophrenien auf). Vielleicht aber sollte ich grüßen mit den Worten "Ihr unterthänigster Diener Florian Voß". Oder: "Ich lege mein Schicksal in eure Hände, Dominus".

Ach nein, ich lasse es besser; ich habe auch gar keine Briefmarken zur Hand, und das Geld ist ja knapp (die Monatshälfte überschritten).
Stattdessen sollte ich einen kleinen Tempel aus LEGO bauen, für Maecenas, der Vertraute des Kaisers Augustus, nach dessen Namen der Begriff geprägt wurde, und der dem Dichter Horaz einst ein Landgut schenkte, auf das er dort gut dichten könne.

Ich sitze lieber im Garten und lese Bücher (wobei auch der Bücheretat für den Monat wieder vollständig ausgeschöpft ist, obwohl ich kaum fünf - gebrauchte - Bücher gekauft habe, und zehn Hefte der Reihe "Poesiealbum", die ich für 80 Cent pro Stück in einem kleinen Antiquariat fand).
Ich sitze also im Garten unseres Mietshaus (diese Privileg habe ich, auch wenn es vom Jobcenter nur zum Teil bezahlt wird) und lese den Roman "Raumlicht" von Ernst Augustin. Ich hatte unlängst ein Interview mit dem Autor - der zwischenzeitlich greis und blind ist - in einem "Psychologie Heute"-Heft gelesen (ausgeliehen aus der Bücherei; Zeitschriften sind zu teuer für mich). Den Namen hatte ich zuvor noch nicht gehört, aber das Gespräch las sich interessant, und da ich zur Zeit in meinem neuen Roman "WERMUT" auch Themen der Psyche und Persönlichkeit (vor allem des ICH-Verlusts) behandele, bestellte ich mir bei Booklooker seinen Roman über eine Schizophrene Frau, Evelyne B. (1,25 Euro inklusive Versand; Bücher sind nicht mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden).

Ein faszinierender Text, ein Ritt durch die Gedanken, umschwirrt von Eindrücken, die die Welt auf den Ich-Erzähler macht, einem Psychoanalytiker. So fern von der schriftstellerischen Konvention der 70er Jahre wie auch der Jetztzeit. Wobei: letztendlich entfernter von der Konvention des Jetzt; kaum denkbar, dass so ein Roman heute noch in einem großen Haus wie Suhrkamp verlegt werden würde, dass die Kritiker von ZEIT und FAZ darüber schrieben, und vor allem kaum denkbar, dass so ein Buch sich heute im ersten Jahr nach Drucklegung mehr als 5000 Mal verkaufen würde.

Heute würden die Lektoren (die Liktoren des Literaturbetriebs) sagen: Das! Können! Wir! Nicht! Verkaufen!
Und damit wäre die Sache vom Tisch. Und Mäzene, die dann herbei- und einspringen, die gibt es schon lange nicht mehr. Ich jedenfalls kenne keinen, aber ich kenne ja auch niemand, der einen Privat-Jet sein Eigen nennt.

(Vielleicht googelt er mich ja irgendwann einmal, der Nicolas Berggruen, auf seinem ultra-slimen Notebook, während er aus der Sichtluke seines Jets schaut. Vielleicht schickt er ja dann einen rettenden Boten).

 LEGO-Tempel für Maecenas

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2 Kommentare:

  1. Interessant, was Du da schreibst. Nicolas Berggrün ist zunächst einmal der Sohn eines Milliardärs und somit auch irgendwann zum Milliardär geworden, indem er die Familientradition des Azockens anderer mit dem eigenen Geld fortgesetzt hat. Er spielt sich gern als Retter, Mäzen und Lehrmeister auf, um seines arroganten, unsympathischen Egos willen. Mit voller Fahrt zurück ins vorrevolutionäre Frankreich. Damals entschied der Adel wer aus dem Gnadenbecher trinken durfte. Heute machen das Typen wie Berggrün und ganz Berlin kriecht ihm in den Arsch.

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  2. Wenn der Staat die Kunst nicht mehr fördert, suchen die Künstler den Adel. Der Adel aber ist hinter den sieben Bergen. Und Berggruen wird (vermutlich) kein Maezen der nicht-repräsentativen Kunst werden. Der Klient muss freundlich sein zu seinem Dominus, will er sein Stück Brot bekommen, am Morgen, im Atrium. Servil muss er sein, bescheiden.

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