Freitag, 13. April 2012

Vor einigen Tagen habe ich damit begonnen Familienphotos einzuscannen. Bald werden die ersten photographierten Generationen meiner Familie im Orkus, in der Namenslosigkeit verschwunden sein. Schon bei der Generation meiner Urgroßeltern fällt es mir schwer, eine in meiner Kindheit kolportierte Anekdote aus dem Gedächtnis hervor zu kramen. Ja, mein Urgroßvater, der Maler Johannes Tielens, über den weiß ich einiges (aber viel letztendlich auch nicht, obwohl er recht bedeutend für die europäische Moderne war; es muss unter anderem noch ein Teil seines Briefwechsels mit Kurt Schwitters in dessen Nachlass sein, aber ich komme einfach nicht dazu, nachzuforschen). Der Rest dieser Familie hingegen: fremde, viktorianische Kleinbürgergesichter. Teilweise von einer unglaublichen Verkniffenheit. Ab und an ein Bonvivant mit Kreisäge. Wer waren die? Was ist von denen in mir?

Johannes Tielens um 1950


Wie gestern Abend schon Thetis zu Archill sagte, dargestellt von Julie Christie und Brad Pitt in dem Film Troja: deine Kinder werden sich an dich erinnern, deine Enkel nur noch an einen alten Mann, danach wird dein Name vergessen sein, es sei denn du ziehst gegen Troja. Dann: Unsterblichkeit. (Und mir kommt mein neuer Roman wie Troja vor).

Auch die Photographien der 70er Jahre sehen für mich schon ausgesprochen historisch aus. Wie verblasst die Farben, wie Fremd dieses Kind, das ich war. Wenn auch nett anzuschauen, könnte der Bruder meines Sohnes sein. - Und wie karg die Inneneinrichtungen, fast ärmlich. Wie fett die Welt geworden ist seitdem.

Die gemäßigte Hippiefamilie von Florian Voß


Tristan wird sich noch an meine Person erinnern, wenn er alt ist, und seine Kinder vielleicht. Dann ist meine Person verschwunden, voll und ganz. Übrig werden nur die Bücher dieser Person bleiben (wenn es gut läuft; in allen meinen Träumen sehe ich Flohmarktkisten im Jahre 2065: Kennst du den? Nie gehört, lass lieber liegen, der Band müffelt zu sehr nach Keller!). Nur die Berichte in den Büchern, aber kein Fleisch, kein Blut, kein Geruch.

Und selbst die Photographien werden irgendwann fehlgedeutet, können nicht mehr zugeordnet werden. In den Müll damit, oder (wenn es gut läuft) auf den Speicher.

Jahrzehnte später versuchen die Germanisten die Gesichter zuzuordnen: ist das der Voß? Nein, das kann nicht sein. Zur Baumblüte in Werder 2005 war er doch nachweislich in Spanien. Wir haben da sicher datierte Bilder im DLA. Aber wer ist es dann? Die Person ähnelt ihm sehr. Ein Doppelgänger?

Vor einigen Jahren wurde eine Photographie aus der Zeit um 1885 gefunden, vermutlich in Aden aufgenommen. Ein Mann auf dem Photo könnte Arthur Rimbaud sein. Es wäre das einzige Bild, das ihn (mit erkennbaren Gesichtszügen) im erwachsenen Alter zeigt, einige Jahre vor seinem Tod.

Arthur Rimbaud um 1885 in Aden


Sieht so ein Dichter aus? Nein, so sieht ein Waffenhändler aus. Ein etwas verschlagener, etwas stumpfer Abenteurer. So sah er aus: Rimbaud. Glaube ich.

(Rimbauds größte Werke / waren seine Gewehre / Ich habe sie alle gelesen / und starre jede Nacht hinein)

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1 Kommentar:

  1. wie kommt das. man schaut es sich ja nicht extra, nicht bewusst ab: so wie der vater will ich in zwanzig, dreissig jahren auch einmal die hände an die hüften legen. und doch: es wird so sein, selbst wenn man als kind die möglichkeit hätte/ nicht hat zu bestimmen. und wenn man dann zwanzig ist oder dreissig, erschreckt man sich: vor einem photo. oder vor sichselbst im spiegel.

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