Dienstag, 10. April 2012

Vor Müdigkeit bekomme ich kaum noch klare Strukturen in meine Gedanken. Ich habe zu wenig geschlafen, die letzten Jahre (die letzten Jahrzehnte, letzten Jahrhunderte? Call me the Highlander), und ich nähere mich langsam einem durchschnittlichen IQ.
NICO im CD-Player, Marble Index & Desertshore. Das war die heroische Musik meiner Jugend; ich habe nie verstanden, wie man das deprimierend finden konnte. So eine das Gesicht umschmeichelnde Kühle. Ganz aus der Zeit gefallen, nie einer Zeit angehörend, ein Amalgam von erdachtem, licht- und wolkendurchfluteten Mittelalter und von träger Schwärze eines mutterleibwarmen Apartments an der Lower Eastside. Musik für Dichter.

Als ich damals des späten Nachmittags durch den Schlossgarten der Residenzstadt Karlsruhe strolchte; krähenverhangener Himmel über einem spätbarocken, zweiflügeligen Bau mit einem zurück gesetzten Turm. All das in Weiß und Gelb. Davor ein Französischer Garten: gut geharkt, fein beschnitten, buchsbaumgesäumt; mit etwas grobschlächtigen Göttern aus Kalkstein. Üblicherweise wurden diese Parks von den nach moderne gierenden Provinzfürsten im 19ten Jahrhundert mit Englischen Gärten überbaut. Nicht so hier, hier war der Englische Landschaftspark im rückwärtigen Theil des Schlosses angelegt worden.
Ein Spaziergang durch die Moden des Absolutismus, ein Spaziergang mit verkatertem Kopp. In schwarzem Anzug vom Pfennigbasar, mit Schnabelschuhen aus den 60ern und Ray-Ban-Sonnenbrille (später reichte es dann nur noch für die Imitate von Roy-Bom).

Wieso nur sind die zeitgenössischen Parks so hässlich, so architektonisch gedacht, niemals als Bühne für den Lustwandel angelegt? – Ich war heute mit meinem Sohn im neuen Grünstreifengelände am Gleisdreieck, Spielplätze erkunden. Alles wie mit dem Lineal gezogen, aber ohne Komposition, wie die Französischen Gärten des 18ten Jahrhunderts, sondern vielmehr wie ein missglücktes Planspiel hingeklatscht, ein Aufmarschraum für Planquadrate, nein für Planfragmente. Und keine Blumen, und keine Bäume. Nur Gestrüpp. Wie soll man da ins Denken kommen?
Von den Neubauten rund herum wollen wir gar nicht sprechen. Die schlimmste Architektur entstand ja in den Post-Wende-Jahrzehnten. Feuchte Träume fetter Technokraten. In den Innenstädten trotzdem (verbüffenderweise) in erträglichem, weil ignorierbaren, Maß, aber in der Periferie: geduckte Produktionshallen aus Blech und Normfensterfronten, verspielte Nichtigkeiten mit Kunststoffbogen und Stahlrohrgiebelchen, Zweckbauten ohne jeden Zweck.
Man sollte den heutigen Baumeistern bei Strafe verbieten sich als Künstler zu fühlen. Die sollen ihre Reißbretter, Winkel und Zirkel nehmen und Handwerk machen. Denn Künstler werden sie doch nie, nur Kunsthandwerker, wenn es sehr gut gelaufen ist. Das jetzige Übel begann in Deutschland mit Oswald Mathias Ungers – dagegen sind die Mietskasernen der 20er Jahre wahre Prachtbauten, Augenweiden.

Schon als Punk waren mir Altbauten lieber, je älter, je besser. Gotik, Barock, Klassizismus. Auch Biedermeier, Jugendstil und Neue Sachlichkeit.
Dabei schrieb ich doch (mit hochgestellten, grünen Haaren, Lederjacke und Domestosjeans) von Glas, Stahl, Neon und Beton. Aber da drinnen wohnen? Lieber war ich ein bildungsbürgerlicher Outlaw. Und entwickelte mich später auch eher zu einer Art von Neo-Existenzialisten. Und hatte Bands in denen ich sang. That´s the man with the feedback brain, every night he´s driving insane…

Ich müsste mal die Kiste mit BASF-Cassetten digitalisieren. Bald werden die Magnetbänder so verzerrt und halb gelöscht wie mein Gehirn sein. Vom Schlaf der Zeit in magnetischen Gleichklang gebracht sein. Alle Magnetpartikel auf den Bändern werden in eine Richtung weisen: in das Rauschen hinein.

Und das waren tolle Bands. Die erste hieß Electric Messias. Ich war Sechzehn, die anderen Anfang zwanzig, und wir kifften im Proberaum mehr, als das wir Songs schrieben, vielmehr improvisierten. Und traten niemals auf, was man Schade nennen könnte, denn wir waren eine der ersten Neopsychodelic-Gruppen im Süddeutschen Raum. Wir hätten die Jugend begeistert.
Wenn wir zugedröhnt waren, schienen dreißig Minuten für einen Song fast zu wenig zu sein. Und der Gitarrist hatte ein Wah-Wah-Pedal. Und der Organist eine Schweine-Orgel. Und der Bassist eine schneeweiße Ibanez. Nur der Schlagzeuger trank höchstens zwei Bier, rauchte nicht (weder Zigaretten noch Joints), hielt deshalb aber immer den Takt. Wir wären ohne ihn aufgeschmissen, wir wären hilflos gewesen. Frank Ziemann, Edgar Franke, Dirk Lakomy und ich. An den Namen des nüchternen Drummers erinnere ich mich nicht.

Florian Voß, in der Zeit der ersten Band

Die zweite Band schaffte es sogar auf eine Platte, einen Sampler des Titels „Karlsunruhe“. Florian Haller (Gitarre), Gerald Pöhls (Bass) und ich hatten monatelang in einem winzigen Proberaum in der Amalienstraße den Song geprobt, den wir aufnehmen wollten, ihn geschliffen und poliert. Dann kam der große Tag für The Liquid Dream; zusammen mit einem Gastschlagzeuger, einem Profi aus dem Freundeskreis (Tobias Wenz von Bazooka Cain), wankten wir übernächtigt in die semiprofessionelle Tonstudio-Klitsche am Rande der Stadt und nahmen den Song (Feedback brian) in endlosen viereinhalb Stunden auf. Und weil wir noch eine halbe Stunde Studiozeit übrig hatten, hackten wir einen nicht ernst gemeinten Punkschlager in die Mikros (Nirgendwo Hirn).
Irgendeine andere Band, die auf dem Sampler erscheinen sollte, war dann wohl neidisch auf uns geworden, und hatte dem Master einen Magnetschaden verpasst, so dass der großartige Song, unser Juwel, unbrauchbar geworden war. Stattdessen landete der Punkschlager ungefragt auf dem Vinyl, zudem in Grund und Boden gemixt.

Aber alles hat ein gutes Ende: Jahre später ging der Bassist auf eine Party, und dort wurde spät Nachts ein Mixtape eingelegt. Darauf auch Nirgendwo Hirn.
Und es kam noch besser: ein besoffener Teenager-Punk lehnte sich zu unserem Bassisten und nuschelte, dass das seit langer Zeit schon sein absolutes Lieblingslied sei.

(Übervolle Aschenbecher, und mein Kopf ist Glut / Abgefucktes Brausehirn, scharfe Küchenmesser / Ich stürz ab, und das ist gar nicht gut / doch was anderes ist auch nicht besser // Ich hab nirgendwo Hirn / ich geh nirgendwo hin / Ich hab nirgendwo Hirn / es hat nirgendwo Sinn // Zeitlose Jahre, die gab es vor Jahren / Das Gedächtnis ist gewaschen und strahlend weiß / es gibt nichts zu tun, man hat nichts zu sagen / Und so hetzt man durch den Tageskreis // Ich hab nirgendwo Hirn / ich geh nirgendwo hin / Ich hab nirgendwo Hirn / es hat nirgendwo Sinn)

Geschrieben 1988, soeben auswendig aus meinem Schädel gepult und eingetippt. Meine erste und einzige Plattenveröffentlichung. Gab es sogar mal bei Amazon, gar nicht teuer, vielmehr so billig wie auch mein Roman dort. Schleuderpreise, Schleudertrauma, Lebensverlust. Aber ich stehe und singe. Und werde auf Mallorca niemals Fahrrad fahren.

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1 Kommentar:

  1. klaus plusminusfpunkt schneider11. April 2012 um 17:35

    kannst du das lied odeer andere nicht mal auf fb reinstellen (auch wenn es dir davor die arbeit macht, es zu digitalisieren)?

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